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19.04.2016
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Nach 500 Jahren: Schafft das Reinheitsgebot ab!

Nach 500 Jahren: Schafft das Reinheitsgebot ab!
Vor 500 Jahren wurde das bayerische Reinheitsgebot erlassen. Dabei ging es schon damals nicht um das Wohl des Biertrinkers, sondern ums schnöde Geld. Alexander Grau erkärt, wie das Reinheitsgebot heute die Vielfalt der Biersorten verhindert.

Es ist soweit: In Ingolstadt steigt die ganz große Sause. Denn vor 500 Jahren wurde ebendort durch die bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. eine neue Landesordnung erlassen. Die wäre längst vergessen, fände sich in ihr nicht eine berühmte Textpassage: „Ganz besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen.“ Das bayerische Reinheitsgebot war geboren. Da feiert man gern – Sonderbriefmarke inklusive.

Dabei ging es den guten Herzögen vor 500 Jahren natürlich nicht um ein natürliches Lebensmittel, frei von Zusatzstoffen. Ihnen ging es ums Geld. Und um den Landesfrieden. Deshalb spielt der obige Satz in der berühmten Verordnung von 1516 auch nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger war den Herrschern die Festlegung von Höchstpreisen – von Michaeli bis Georgi sollte eine Maß Bier nicht mehr kosten, als einen Pfennig Münchener Währung.

Und ums Geld geht es beim Reinheitsgebot noch immer. Selbstverständlich betont die Industrie – im Reigen mit Tourismusverbänden und Politik – gebetsmühlenartig, das alles geschehe allein im Interesse und zum Schutz des deutschen Biertrinkers. Doch Verbraucherschutz und Ökologie interessieren heutzutage genauso wenig wie vor 500 Jahren. Einziger Unterschied: In der Zwischenzeit ist es gelungen, den Leuten einzureden, dass am Reinheitsgebot die deutsche Bierseele hänge. Was für ein Unfug!

Schock: Weizenbier ist eigentlich gar kein Bier
 
Stutzig machen sollte allein schon die kleine Zutatenliste. Denn in dieser fehlt die Hefe. Nicht, weil die Herzöge sie vergessen hätten, sondern weil man sie im 16. Jahrhundert noch nicht kannte. Die Brauer arbeiteten – unbewusst – mit natürlichen Hefen. Erst im 17. Jahrhundert begann man (gegen das Reinheitsgebot!) der Bierwürze Hefe beizugeben – ohne dass sich jemand beschwert hätte. Aber vielleicht war man damals auch innovationsfreudiger.

Doch am Fetisch Reinheitsgebot hält man in Deutschland fest wie der Papst am Glaubensbekenntnis. Nur eine Ausnahme hat man sich erlaubt: Weizenbiere aus Weizenmalz. Denn streng genommen, dürften sich diese gar nicht „Bier“ nennen. Angesichts einer Klage sah sich eine große bayerische Brauerei daher vor Jahren gezwungen klarzustellen: „Nach heutigem Verständnis und einer Auslegung nach Sinn und Zweck erwartet der Verbraucher ein natürliches, reines Lebensmittel ohne Chemie, Zusatzstoffe, Aromen u.ä.“

Klingt gut. Und vermutlich ist es das, was die Kunden von einem Bier, gebraut nach Reinheitsgebot, erwarten: Ein Getränk ohne chemische Zusatzstoffe, am besten noch „ökologisch“. Doch ganz so öko ist unser Bier nicht. Und das liegt nicht nur an den Zusatzstoffen – Glyphosat lässt grüßen –, die über die Pflanzen ins Bier geraten. Auch deutsches Bier wird etwa mit Polyvinylpolypyrrolidon (PVPP) klarer und haltbarer gemacht. PVPP ist zwar kein Inhaltsstoff, es wird nach dem Klärvorgang wieder entfernt. Rückstände bleiben aber dennoch.

Das alles ist weder besonders gesundheitsgefährdend noch sonst wie schlimm. Dennoch wird das penetrante Trommeln für das „Reinheitsgebot“ fragwürdig, wenn die Verwendung von PVPP erlaubt ist, der Zusatz von ökologisch angebautem Koriander aber dazu führt, dass man Bier nicht mehr „Bier“ nennen darf.

Einheitspils statt Vielfalt
 
Das deutsche Reinheitsgebot ist kein Verbraucherschutzgesetz, sondern eine protektionistische Maßnahme, die die heimische Bierindustrie schützen soll. Doch wie alle protektionistischen Bestimmungen verfehlt auch das Reinheitsgebot sein Ziel. Denn unter seinem Schutzschirm hat sich die deutsche Bierindustrie in einem bierseeligen Dämmerschlaf eingerichtet. Das traurige Resultat ist das deutsche Einheitspils, das die von der Bierlobby stets beschworene Vielfalt deutscher Biere geradezu ad absurdum führt – während in anderen Ländern Brauer sich kreativ austoben können.

Auch auf dem Biermarkt entsteht Vielfalt durch Konkurrenz und nicht durch Schutzmaßnahmen. Erst unter dem Druck der anhebenden Craft-Bier-Welle und dem Erfolg lokaler Kleinbrauereien fängt nun auch die deutsche Bierindustrie langsam an, die Möglichkeiten auszuschöpfen – vor allem, was die Verwendung von Aromahopfen angeht.

Warum sollte man Kräuter, Früchte oder Gewürze auch nicht ins Bier geben dürfen? In anderen Ländern funktioniert das ganz wunderbar und schafft eine großartige Vielfalt. Nur in Deutschland ist man auf seine Borniertheit auch noch stolz. Seien wir ehrlich: 500 Jahre Reinheitsgebot sind genug.

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Im Dezember 2014 erschien der von ihm herausgegebene Band „Religion. Facetten eines umstrittenen Begriffs“ bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig. Dieser Artikel erschien am 16. April 2016 in seiner Kolumne "Grauzone" bei Cicero Online.

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