Freitag, 29. März 2024

24.03.2016
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Verteidigen wir die Freiheit des Wortes!

Verteidigen wir die Freiheit des Wortes!
Von Jörg Baberowski.

Verstehen heißt, am anderen nicht mut­willig vorbeizuhören. Daran aber scheinen jene, die in ­Deutschland die ­Interpretationshoheit für sich beanspruchen, kein Interesse zu haben. Jeder, der nicht so spricht wie sie, jeder, der ausspricht, was nicht ­ausgesprochen werden darf, wird nach ­Dunkeldeutschland verbannt. Die Welt soll ­übersichtlich und einfach sein. Wer an einer Demonstration gegen "rechts" ­teilnimmt, wird als Aktivist oder Globalisierungsgegner, als Anwalt der Zivilgesellschaft vorgestellt, wer gegen die Bevormundung der Regierung demonstriert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein ­Fremdenfeind zu sein. Es gibt in Deutschland keine Debatte mehr, die nicht mit der moralischen Erledigung des Kritikers beendet würde. Dagegen kann sich wehren, wer eine Stimme hat, die gehört wird. Die meisten Menschen aber ­schweigen, weil sie es nicht ertragen können, von allem ausgeschlossen zu werden. Wer will schon ein Nazi sein, wenn er in der inneren ­Emigration überleben kann?

Die moralische Diskreditierung verwandelt Gegner in Feinde und verleiht den Tugendwächtern die Aura von Widerstandskämpfern, die das Böse erledigen. Je dunkler die Feinde, desto ­heller strahlt das Licht der Aufklärung. ­Journalisten glauben, sie zeigten Zivilcourage, wenn sie sich einem toten Diktator widersetzen oder ­Menschen diskreditieren, die ohnehin keine Stimme haben. Sie gefallen sich in der Rolle von Märtyrern, ­verleihen einander Preise für ihre Stand­festigkeit, obwohl sie nichts ­riskieren und nichts aufs Spiel setzen. ­Selbstgefälligkeit, wohin man schaut.

Warum ist es eigentlich so schwer, die Welt mit den Augen anderer Menschen zu sehen? Sind die Abwehr der illegalen Einwanderung in ­Ostdeutschland und der nationale Selbst­behauptungsanspruch in den ostmitteleuropäischen Ländern wirklich ein Ausdruck rechts­extremer Gesinnung? Menschen, die über ­Jahrzehnte gezwungen wurden, gegen ihren ­Willen die Regierung zu preisen, die Wirklichkeit zu leugnen und an Wahlen teilzunehmen, die nichts zur Wahl stellten, reagieren empfindlich auf jeden Versuch, sie zu bevormunden und sie zu zwingen, das Lied der Tugendwächter zu singen. Sie verlangen, selbst darüber entscheiden zu ­dürfen, in welcher Welt sie leben und mit wem sie sie teilen wollen. Nichts ist schlimmer als das Gefühl, den Verhältnissen ohnmächtig ­ausgeliefert zu sein und von überforderten ­Politikern zurechtgewiesen zu werden, die viel verlangen, aber nichts zu geben haben.

Politik heißt, in Alternativen zu denken und das Mögliche zu tun. Nichts anderes verlangen jene Bürger, für die der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben keine hohle Phrase ist. Die Bundeskanzlerin hat sich über die Verfassung ­hinweggesetzt, sie hat das Parlament entmachtet, Deutschland in Europa isoliert, und sie überlässt es dem türkischen Selbstherrscher Erdogan, ­darüber zu entscheiden, wie viele Einwanderer nach Deutschland kommen werden. Warum ­müssen sich Bürger, die auf ihrem Selbst­bestimmungsrecht bestehen, eigentlich vorwerfen lassen, sie seien Fremdenfeinde? Weil Deutschland einer selbstgefälligen Elite zum Opfer gefallen ist, die nichts mehr verstehen will und nur noch daran interessiert ist, den ­öffentlichen Sprachgebrauch zu kontrollieren. Dagegen müssen wir uns wehren, wenn wir die demokratische Bürgergesellschaft nicht aufs Spiel setzen wollen.


Jörg Baberowski ist Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im letzten Jahr ist im S.Fischer Verlag sein Buch Räume der Gewalt erschienen. Der vorliegende Text wurde zuerst am 11. März 2016 in der Basler Zeitung veröffentlicht. Wir dokumentieren ihn hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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