16.05.2015
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Gideon Böss | Antisemitismus ist schlimm. Manchmal.

Gideon Böss | Antisemitismus ist schlimm. Manchmal.
In diesen Tagen feiern Deutschland und Israel das 50-jährige Bestehen der diplomatischen Beziehungen. Dazu gehört neben diversen offiziellen Veranstaltungen auch das Bekenntnis, Antisemitismus nicht zu dulden und überall zu bekämpfen. Deswegen träumt die Bundesregierung ja auch immer noch davon, die NPD zu verbieten. Als ob das Verschwinden dieser kümmerlichen Nazipartei auch das Verschwinden des Judenhasses zur Folge hätte. (In Wahrheit hat die NPD den nützlichen Effekt, dass an ihrer Nichtexistenz in Landtagen der fehlende Rückhalt ihrer Ideologie im Land ablesbar ist.)

Warum aber lässt es die deutsche Politik nicht ruhen, dass es die NPD noch offiziell gibt? Es reicht doch, dass sie keinen Einfluss hat und Udo Voigt in etwa das Charisma eines gescheiterten Blitzkrieges besitzt. Eigentlich gibt es genügend Gründe, sich mit anderen Protagonisten auf der globalen Antisemitismusbühne zu beschäftigen. Dort spielt Voigt ohnehin nur eine Nebenrolle ohne Sprechpart. Auf dieser Bühne ganz vorne mit dabei ist Recep Erdogan, ein Mann, der seine demokratische Phase zunehmend hinter sich hat und zu einem autoritären Führer mutiert.

Er hetzt in Richtung Israel: „Jene, die Hitler Tag und Nacht verurteilen, haben Hitler in Sachen Barbarei übertroffen.“ Außerdem teilt er seinen Landsleuten mit: „Die Israelis töten die Frauen im Gazastreifen, so dass sie keine palästinensischen Babys mehr zur Welt bringen können.“ Er bezeichnet den Zionismus als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ oder lässt über seinen Stellvertreter verbreiten, dass die „jüdische Diaspora“ hinter den Protesten in der Türkei steckt.

Natürlich kann man behaupten, dass er dabei doch nur „Israelkritik“ übte, aber so eine Sicht ist im besten Fall naiv, im schlimmsten Fall eine schäbige Form der Unterstützung dieser antisemitischen Hetze. Denn natürlich weiß Erdogan genau, wie seine Worte beim (Wahl-)Volk ankommen. So wie auch Jürgen Möllemann einst auf das antisemitische Potenzial der deutschen Wähler hoffte, als er sich „sorgen“ darüber machte, dass Michel Friedmann und Ariel Scharon den Antisemitismus anheizen. Damals kam zu Recht niemand auf die Idee, Möllemann diese Sorge abzunehmen.

Im Fall von Erdogan hingegen, dessen Propaganda weit über die Türkei hinaus in die arabische und muslimische Welt hineinstrahlt, bleibt die deutsche Politik erstaunlich gleichgültig. Was doppelt erstaunlich ist, schließlich handelt es sich bei der Türkei um ein NATO-Mitglied und einen EU-Beitrittskandidaten.

Wenn aber unsere Politik sich nicht an Erdogans fataler Roller als Einpeitscher der Massen gegen den Zionismus und Israel (und die Unterscheidung zwischen Judentum und Israel wird in dieser Weltregion gerne noch weniger gezogen, als in Deutschland) stört, sollte man den rhetorischen Totalausfall Udo Voigt schlicht ignorieren.

Insgesamt ist die Gleichgültigkeit gegenüber Antisemitismus, der nicht der arisch-blonden-Klischeeschablone entspricht, erschreckend. Aus diesem Grund fällt es schwer, die pathetischen Worte gegen Judenhass ernst zu nehmen, die auf solchen Festakten gesprochen werden. Wer den Antisemitismus nur dort bekämpft, wo er einem in den ideologischen Kram passt, anstatt ihn dort zu bekämpfen, wo er sich zeigt, der kann es gleich sein lassen. Oder in den Worten von Erdogan: „Israel verfolgt dasselbe Ziel wie Hitler.“

Gideon Böss ist Schriftsteller. Sein aktueller Roman heißt Die Nachhaltigen

Der Beitrag erschien zuerst auf dem Welt-Blog „Böss in Berlin“ hier.