23.11.2016
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Die Kanzlerin der Alternativlosigkeit

Die Kanzlerin der Alternativlosigkeit
Von Peter Grimm.

Es mutet an, wie das Drehbuch zur Vorbereitung einer angemessen schäbigen wie durchsichtigen Billigkopie einer Krönungsmesse: Tagelang beschäftigten sich die sogenannten Qualitätsmedien mit nichts anderem, als der Frage, ob denn die Bundeskanzlerin bereit wäre, dem deutschen Volk – nein, Merkel formulierte zeitgemäßer, den Menschen „die schon länger bei uns leben“ (und deshalb das Privileg es Wahlrechts genießen, Anm. des Autors), sowie den Menschen, die seit ihrem Willkommensruf „gekommen sind“ – die Gnade einer weiteren Regentschaft zu erweisen. Am Sonntag nun teilte sie mit, dass sie dazu bereit wäre und im Kalender stehen die Termine, zu denen wieder darüber berichtet werden wird, dass die zuständigen Gremien ihrer Partei den Segen zu diesem gnädigen Ratschluss gegeben haben.

Das ist an sich in einer Kanzler- bzw. Kanzlerinnenpartei noch nichts Besonderes. So gingen bislang alle amtierenden Kanzler in die nächste Wahlrunde. Allerdings zuweilen mit offenem Ausgang. Den scheint Angela Merkel nicht zu fürchten. Selbst der stellvertretende Vorsitzende der CDU/ CSU-Fraktion Hans-Peter Friedrich (CSU), der erklärtermaßen zu den Merkel-Skeptikern zählt, sagte im Deutschlandfunk: „Im Großen und Ganzen muss man gerade mit Blick auf Europa sagen, Angela Merkel ist die einzige große Führerin eines großen europäischen Landes, die jetzt noch die Autorität besitzt, Europa zusammenzuhalten.“

Entweder hat Friedrich großes Glück, dass Angela Merkel eine Frau ist oder es hat sich in den letzten Monaten wirklich viel verändert. Was hätte sich ein Berliner Politiker, der einen deutschen Kanzler zum einzigen großen Führer für Europa erklärt, wohl vor einiger Zeit noch anhören müssen?

Aber zurück zur Kanzlerin der Alternativlosigkeit. Sie kann mit jeder künftigen Parlamentspartei, mit Ausnahme von AfD und Linken, koalieren. Da sich alle schwören, niemals mit der AfD zu kooperieren, gibt es wahrscheinlich keine Machtoption für einen Gegenkandidaten. Die einzige ernstzunehmende Gegnerschaft im etablierten Politikbetrieb, die es vielleicht gab, hätte aus der CSU kommen können. Einige Beobachter mutmaßten – manche hoffnungsvoll, manche ängstlich – die Christsozialen würden vielleicht mit einem Mann wie Karl-Theodor zu Guttenberg einen Befreiungsschlag wagen. Immerhin ist der Mann nicht durch das Mitwirken an Merkels unpopulären Entscheidungen belastet, schafft es vielleicht wieder zur nötigen Popularität und kann hoffen, dass ihm die deutsche Öffentlichkeit die Plagiatsaffäre längst verziehen oder vergessen hat. Und auch in der CDU könnten Mandatsträger womöglich hoffen, mit ihm an der Spitze eine größere Chance bei der Wahl zu haben, als mit der Kanzlerin. Doch offenbar waren das nur Gedankenspiele, denn CSU-Äußerungen zur erneuten Merkel-Kandidatur klingen eher nach Rückzugsgefechten. Launig bestehen die Bayern darauf, dass sie erst in den ersten Monaten des neuen Jahres entscheiden wollen. Doch sie werden kaum noch einen eigenen Kandidaten präsentieren, nachdem die Kanzlerin ihren Hut schon in den Ring geworfen hat.

Was bleibt noch an Unsicherheit für die alternativlose Kanzlerin? Der SPD-„Gegenkandidat“? Im Moment klingt das lächerlich. Aber noch ist er ja nicht gekürt.

Es scheint ja auf den gegenwärtigen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz hinauszulaufen, der sein schönes Amt im nächsten Jahr aufgeben muss, weil es die beiden größten Fraktionen des Brüsseler Parlaments so ausgekungelt haben. Doch wie sähe ein Wahlkampf zwischen Merkel und Schulz aus? Sicher ähnlich spannend, wie die müde Wahlkampfinszenierung Schulz gegen Jean-Claude Juncker vor der Europaparlamentswahl 2014. In allen wesentlichen Fragen waren sich beide einig. Mit Merkel und Schulz verhält es sich kaum anders.

Vielleicht können die beiden nach Brüsseler Modell auch gleich eine Ämterteilung vereinbaren. Einen Teil der Legislaturperiode regiert Merkel, den anderen Schulz. Geschlechtergerecht ausgedrückt, wird das Amt der/ des Bundeskanzler*_in gerecht aufgeteilt. Das hätte auch den Charme, dass die Kanzlerin den Satz, Demokratie lebe vom Wechsel der Regierung, wieder ohne rot zu werden sagen dürfte. Der letzte Hauch von Krönungsmesse wäre verflogen. Es bliebe bei der gewohnten Kungelei. Von Brüssel lernen, heißt …?


Peter Grimm, geboren 1965 in Ost-Berlin, war bis 1989 aktiv in der DDR-Opposition und arbeitet seitdem als Journalist, Autor und Dokumentarfilm–Regisseur. Er betreibt den Blog www.sichtplatz.de, auf dem dieser Artikel am 21.11.16 unter dem Titel "In die Zukunft mit Bundeskanzler_*in Merkel-Schulz?" erschienen ist.