10.10.2016
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Wem es in der Küche zu heiß ist, sollte nicht Koch werden wollen

Wem es in der Küche zu heiß ist, sollte nicht Koch werden wo...
Wenn man sich ein paar Tage nach dem 3. Oktober die Stimmen zur Einheitsfeier in Dresden und den sie begleitenden Protesten so anhört, dann wird man das Gefühl nicht los, das sich in der allgemeinen Wahrnehmung über die Jahre schon einige Verwerfungen eingestellt haben. Früher, als sich gewählte Politiker noch des Umstands bewusst waren, dass sich jeder Verantwortungsträger in einer freien Gesellschaft auch ins Feuer der Kritik stellen muss, gehörte es zum Berufsbild des Politikers, es klaglos auszuhalten, wenn Demonstranten einen gern lautstark und wenig stilvoll aus dem Amt gejagt wünschten und beschimpften. Sollte man deshalb etwa über die Grundrechte des protestierenden Volks diskutieren? Im Volksmund hieß es dazu lapidar: „Wem es in der Küche zu heiß ist, sollte nicht Koch werden wollen“. Es wird ja schließlich niemand mit vorgehaltener Waffe oder durch existenzielle Not dazu gezwungen, Bundeskanzler oder Minister zu werden.

Erinnern Sie sich noch an den 10. Mai 1991? Damals – die deutsche Einheit war noch recht frisch – besuchte Bundeskanzler Helmut Kohl die Stadt Halle. Protestierende unzufriedene Ostdeutsche sammelten sich vor dem Rathaus. Dass sie auch „Kohl muss weg“ riefen, war völlig unspektakulär, denn an diesem Tag lieferte der Bundeskanzler in Halle vor allem ein Bild, das alles überlagerte. Der Kanzler der Einheit wurde im Osten, der ihn doch ein Jahr zuvor noch so gefeiert hatte, mit Eiern beworfen und stürmte nach einem Treffer wütend auf den Eierwerfer zu. Die Personenschützer des Kanzlers konnten scheinbar eine Prügelei gerade noch verhindern. Kohl empörte sich über den „Pöbel“, die Presse aber mokierte sich eher über die Wut des Kanzlers. Zwar verteidigte niemand den Eierwurf, doch keiner wäre auf die Idee gekommen, diesen hochdramatisch zu einer demokratiegefährdenden Tat zu erklären. Und dass Demonstranten den Bundeskanzler mit „Kohl muss weg“-Rufen empfangen, das galt zur damaligen Zeit als normal, schließlich nahmen ja, wie gesagt, die Protestierenden nur ihre Grundrechte in Anspruch.

Wenn heutzutage, konkret am jüngst vergangenen Tag der deutschen Einheit in Dresden beim offiziellen Festakt undankbare Ossis der Kanzlerin ein „Merkel muss weg“ hinterherrufen, dann sieht das anders aus. Eier wurden zwar nicht geworfen, weshalb kein Spitzenpolitiker wegen einer beschmutzten Garderobe wütend werden musste, aber verbal wurde gepöbelt, meldeten die offenbar geschockten Berichterstatter ganz aufgeregt aus der sächsischen Hauptstadt. Dass Grundrechte auch für Menschen gelten, die mit ihrem Protest eine feierliche Stimmung stören und deren Meinung in vielen Punkten dem widerspricht, was alle im Bundestag vertretenen Parteien derzeit an Gemeinsamkeiten hochhalten, scheint etwas in Vergessenheit geraten zu sein. Man mag es manchmal bedauern, aber in einem freien Land ist selbst schlechtes Benehmen nicht strafbar.

Für Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) war der Protest ein Anlass, nach dem Tag der deutschen Einheit die Alarmglocken zu läuten: „Dieser offen gezeigte, organisierte und brutale Hass machte vor keiner Obszönität mehr Halt, und es war nur ein kleiner Schritt bis hin zur physischen Gewalt“, sagte sie dem „Spiegel“.[1]

Eigentlich kann die Frau, die protokollarisch zu den höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik zählt, bekanntlich gegenüber etwas derber formulierenden Demokratieverächtern auch äußerst tolerant sein. Ende letzten Jahres machte es ihr wenig aus, in einer Demonstration mitzulaufen, in der Deutschland, Du mieses Stück Scheiße“ und „Deutschland verrecke“ skandiert wurde. Seinerzeit haben andere, weniger bekannte Politiker die Rolle des Geschockten und Erschütterten übernommen, wie beispielsweise Florian Herrmann, der innenpolitische Sprecher der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. „Ich halte das für einen unhaltbaren Zustand, wenn die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags hinter Parolen wie ‚Deutschland, Du mieses Stück Scheiße‘ herläuft. Sie trägt damit zur Radikalisierung der Gesellschaft bei und macht sich mitschuldig, wenn sich das Klima in Deutschland hochschaukelt“[2], kommentierte er.

Der Mann könnte sich jetzt bestätigt fühlen, denn viele der obszönen Beschimpfungen, unter denen Claudia Roth so gelitten hat, bezogen sich auf dieses Ereignis. Dass sie solche Hass-Sprüche nicht selbst skandiert hatte, hilft hier zur Entlastung wenig. Wer in einem solchen Amt ein solches Umfeld unterstützt und – falls sie es tatsächlich zuvor nicht absehen konnte – sich hinterher nicht wenigstens klar davon distanziert, muss sich auch Reaktionen darauf gefallen lassen.

Aber sie fordert stattdessen empört „eine ernst gemeinte, dauerhaft finanzierte und massiv organisierte Demokratie-Offensive in Sachsen und an allen anderen Orten, an denen sich dieser Hass zeigt oder ankündigt.“[3] Bei wem wohl diese dauerhafte Finanzierung dann landen soll? Auch bei den „Antifaschisten“, die gern „Deutschland verrecke“ rufen, aber doch im Kampf gegen rechts immer zur Stelle sind? Das ist nun wirklich die Forderung danach, das Feuer mit Benzin zu löschen. Manchen scheint die Polarisierung noch nicht weit genug gediehen zu sein.

Helmut Kohl in Halle sehen Sie hier: https://www.youtube.com/watch?v=8ZazG0nxexU

Was Claudia Roth in Dresden erleiden musste, sehen Sie hier: https://www.youtube.com/watch?v=9XBzAiiTC9E

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/dresden-tag-der-deutschen-einheit-angela-merkel-im-zentrum-des-protests-a-1114998.html

[2] https://www.bayernkurier.de/inland/8411-claudia-roth-auf-abwegen

[3] http://www.berliner-zeitung.de/24844114


Peter Grimm, geboren 1965 in Ost-Berlin, war bis 1989 aktiv in der DDR-Opposition und arbeitet seitdem als Journalist, Autor und Dokumentarfilm–Regisseur. Er betreibt u.a. den Blog www.sichtpatz.de, wo dieser Artikel am 5.10.16 erschien.