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26.07.2016
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Terror, Amok und der Terror durch Amok

Terror, Amok und der Terror durch Amok
Amoklauf oder Terroranschlag - ist das nicht egal? Ist es nicht! Von Alexander Grau.

Die Attentate von München und Würzburg scheinen eher Amokläufe gewesen zu sei. Trotzdem ist überall von Terror die Rede. Aber das ist nicht dasselbe, und Nachdenklichkeit wäre jetzt angemessen

Es war eine eigenartige Atmosphäre, als ich gestern Abend durch Schwabing radelte. Kaum Verkehr auf den Strassen, kein Bus fuhr mehr, keine Tram, vor den Taxiständen bildeten sich Menschentrauben, interessiert beobachtet von Gästen in Straßencafés, die sich noch ein Helles bestellten. Eine ungewöhnliche Ruhe lag über der Stadt, hin und wieder unterbrochen durch die Hubschrauber, die über dem Münchener Norden kreisten.

Von einer Stadt in „Panik“ werden am nächsten Morgen viele Medien schreiben, und natürlich herrschte Panik im Olympiaeinkaufszentrum und auch am Stachus, wo ein Fehlalarm für kurzzeitige Nervosität sorgte. Doch abseits des Brennpunktes herrschte vor allem Ruhe und Gelassenheit – auch wenn das natürlich keine reißerische Schlagzeile hergibt.

Befremdlich wirkt mitunter jedoch nicht nur die mediale Erregungsspirale, sondern auch die „Analyse“ des Falls. „Jetzt auch München“, so der Tenor vieler Kommentare, wobei eine unausgesprochene Linie gezogen wird von Paris über Orlando und Nizza bis Würzburg und nun München.

Terror ist Terror ist Terror, scheinen viele zu denken und schon den Gedanken an Differenzierung und Einzelfallbetrachtung als Verharmlosung und Relativierung zu begreifen. Doch Nachdenken ist nicht per se von Übel. Und es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ein hoch ideologisierter Kämpfer ein Massaker anrichtet oder ein psychisch Kranker: Für die Opfer und ihre Angehörigen in ihrem Schmerz ist das gleichgültig – wohl wahr.

Doch eine Gesellschaft, die sich zunehmend solchen Gewalttaten gegenüber sieht, ist gut beraten, nicht jedem Amoktäter das Label „Terrorist“ anzuhängen – selbst wenn Bilder auftauchen, auf denen er mit IS-Symbolen posiert.

Ja aber, lautet der naheliegende Einwand, sind Massenmörder denn nicht alle psychisch gestört? Nein, leider nicht. Zumindest ideologisch motivierte Massenmörder – die Geschichte kennt leider all zu viele Beispiele – erfreuen sich in er Regel bester psychischer Gesundheit. Es sind zumeist ganz normale Männer, die an den Erschießungsgräben stehen.

Das Kennzeichnende (und Perfide) am psychisch gesunden Überzeugungstäter ist seine moralische Gewissheit. Der ideologisch gefestigte Massenmörder versteht sich als moralisch legitimiert, ja auserwählt, als blutiger Kämpfer für das „Gute“. So hart es klingt: Terroristen verstehen sich als Moralisten.

Anders der psychisch gestörte Einzeltäter. Dem geht es weder um eine Ideologie noch um eine verkrachte Moral. Sein Handlungsimpuls liegt in einer schweren Psychose, einer beeinträchtigten Realitätswahrnehmung. Seine Taten haben keine weltanschauliche Botschaft, allenfalls eine individualpsychologische – es sind Amokläufe.

Seit den schweren Amokläufen von Columbine (1999) und Erfurt (2002) hat sich die psychologische Forschung intensiv mit diesem Thema befasst. Insbesondere der Psychologe Peter Langman hat in seinen ausführlichen Studien herausgearbeitet, dass Amokläufer – es sind fast immer junge Männer – drei psychologischen Profilen zuzuordnen sind: Sie sind entweder psychopathisch, psychotisch oder traumatisiert. Anders ausgedrückt. Amokläufer sind entweder empathielos, narzisstisch und tendenziell sadistisch, leiden unter Wahnvorstellungen oder haben selbst Gewalt erfahren, etwa durch elterliche Drogen- und Alkoholprobleme oder andere Umstände.

Es ist noch zu früh, die Ereignisse von München einzuordnen. Doch das aus den Videos erkennbare Verhalten des Täters, seine anscheinend depressive Erkrankung und vermutete Affinität gegenüber Gewaltdarstellungen legen einen Amoklauf nahe. Auch die Selbsttötung des Täters ist darauf ein deutlicher Hinweis – denn Amokläufe sind im Kern fast immer erweiterte Suizide.

Und auch hinsichtlich der Würzburger Falls spricht vieles für einen Amok, der terroristisch dekoriert wurde – etwa der für diese Tätergruppe typische Suizid durch einen provozierten Todesschuss, die sehr kurzfristige „Ideologisierung“ und eine mögliche Traumatisierung.

Über ihre individuelle Grausamkeit hinaus bereiten diese Taten daher vor allem deshalb Sorge, weil ihr Nährboden auch ein zunehmendes Klima der Gewalterwartung und Gewaltnormalität ist, das sie nur noch weiter anheizen.

Insbesondere Würzburg und München zeigen, wie schnell die Atmosphäre in einer Gesellschaft zu kippen droht und – auch durch sensationsheischende Medien – der Eindruck einer Gewaltpräsenz entsteht, der bei gefährdungsgeneigten Personengruppen zur Legitimierung eigener Gewaltexzesse dient – und so eine Spirale in Gang setzen kann.

Auch deshalb sind wir gut beraten, einen kühlen Kopf zu wahren.

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Im Dezember 2014 erschien der von ihm herausgegebene Band „Religion. Facetten eines umstrittenen Begriffs“ bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig. Dieser Artikel ist zuerst am 23.7.16 in seiner kolumne "Grauzone" bei Cicero Online erschienen.

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