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24.05.2016
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Glyphosat und Populismus: Der moderne Zauberlehrling

Glyphosat und Populismus: Der moderne Zauberlehrling
Die intellektuelle Elite der westlichen Welt ist in Schockstarre: Von Österreich bis zu den Philippinen, von den USA bis nach Sachsen-Anhalt haben Populisten plötzlich massiven Aufwind. Dieselben Eliten sind freilich nicht unschuldig daran: Wenn es ihnen passte, haben sie auch gerne das Instrument der Panikmache genutzt.

Die Skandalkultur der 70er und 80er Jahre

Populismus fällt nicht vom Himmel. Er wächst aus der Erde hervor. Und der Nährboden für dessen Gedeihen wird nicht selten von Menschen bereitet, die das gar nicht beabsichtigen. Populismus gedeiht durch undifferenzierte und mithin sehr eindimensionale Kommunikation, er nährt sich von irrationaler Angst und braucht Skandale, um groß zu werden. Eine erste Blütezeit der Skandalkultur waren die 70er und 80er Jahre. In Gang gebracht haben das ebenjene Vordenker aus dem intellektuellen Milieu, die heute entsetzt aufschreien. Die gesellschaftliche Macht der Zeit-Journalisten, Politologie-Professoren und Greenpeace-Aktivisten ist nicht zuletzt durch Skandalisierung und Panikmache entstanden. Und nun ist es wie bei Goethes Zauberlehrling: „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“

Am Anfang der Skandalisierungskultur stand ein ehrenwertes Anliegen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde Vergangenheitsbewältigung nur sehr zaghaft betrieben. Wer die Auseinandersetzung mit der grauenhaften NS-Vergangenheit vorantreiben wollte, wie etwa der Staatsanwalt Fritz Bauer, musste laut werden. Oder zu etwas fraglichen Mitteln greifen wie Beate Klarsfeld mit ihrer Ohrfeige für Bundeskanzler Kiesinger. Politische Aktivisten der 70er Jahre übernahmen diese Techniken und rechtfertigten sie durch den Gebrauch des pauschalen Nazi-Etiketts. Überall sahen sie Nazis: in den Vorstandsetagen und im Bundestag, in den Kirchen und Kindergärten, in der Bundeswehr und bei den Energieversorgern. Man musste nur Faschismus drauf schreiben und schon wandelte sich jedes Hetzen, Niederbrüllen und Steinewerfen in eine Heldentat.

Zuwanderung statt Gentechnik

Ob Anti-Atomkraft- oder Friedens-Bewegung, ob Wale retten oder Gen-Gemüse verhindern: Immer gibt es einen guten Grund dafür, warum man laut sein darf, warum man Angst und Panik verbreitet, warum man es „denen da oben“ mal ordentlich zeigt. Man fühlt sich auf der richtigen Seite. Man steht in einer Tradition mit Sophie Scholl und Gandhi, Rosa Parks und Benno Ohnesorg. Auch in jüngster Zeit wird das Mittel „Skandal“ immer wieder angewandt: So etwa als Greenpeace die völlig unspektakulären „Geheim-Papiere“ zu TTIP „enthüllte“ oder mit dem jüngsten Hype um Glyphosat.

Muss man sich wundern, wenn all diese Methoden nun nicht mehr nur für die „richtigen“ Ziele wie Weltfrieden, Umweltrettung und eine gen- und atomfreie Erde eingesetzt werden? Jahrzehntelang haben linke Aktivisten vorgemacht, wie man Mücken zu Skandal-Elefanten macht und wie man Ängste nutzt, um politische Ziele durchzusetzen. Nun machen es eben rechte Aktivisten nach. Ersetze „Atom-Super-GAU“ durch „Niedergang der Kultur“, „Gentechnik“ durch „Zuwanderung“ und „Chlorhühnchen“ durch „Sexualkunde“ … Sogar die Selbststilisierung zum Helden kann man wiederfinden: Absurderweise vergleichen sich nicht selten rechte Aktivisten mit Figuren des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.

Vereinfachen und Polemisieren wie Campact, Greenpeace und Occupy

Trump, Hofer, Le Pen, Kaczynski und Orban sind nicht nur Produkte einer absteigenden Mittelklasse, die sich als Verlierer der Globalisierung empfinden. Sie sind auch gelehrige Schüler der 68er und ihrer Epigonen. Sie vereinfachen wie Campact, sie polemisieren wie Greenpeace und sie inszenieren sich als Stimme des Volkes wie die Occupy-Bewegung. Im Unterschied zu Goethes Zauberlehrling gibt es jedoch in dieser Situation keinen Hexenmeister, der den Scherbenhaufen wieder aufräumen könnte, den die Nachwuchs-Zauberer hinterlassen. Und es wird auch nicht so schnell gehen wie in der Goethe-Ballade: Es wird gemeinsamer und langfristiger Bemühungen bedürfen, um der populistischen Versuchung Herr zu werden.

Gefragt sind bei diesen Bemühungen alle diejenigen, die sich in stärkerem Maße politisch engagieren: Politiker selbst, aber vielleicht noch viel mehr Journalisten, Mitarbeiter von NGOs und Aktivisten. Die Hauptaufgabe besteht darin, das Diskussionsklima wieder herunter zu kühlen. Wer sich Sorgen macht wegen des rechten Populismus, der muss auch auf der linken Seite abrüsten. Hört auf damit, TTIP zu dämonisieren, ungleiche Einkommensverteilung zu skandalisieren, Sorge vor zu vielen Zuwanderern als faschistoid zu bezeichnen und allenthalben Machenschaften und Geheimniskrämerei der Großkonzerne oder des Establishments zu wittern! Schon vor fast sechzig Jahren schrieb der am Mittwoch verstorbene Historiker Fritz Stern über “Kulturpessimismus als politische Gefahr”. Wenn wir nicht gegensteuern, könnte wirklich das „Zeitalter der Angst“ anbrechen, vor dem er noch im Januar warnte.

Clemens Schneider arbeitet für das Freiheitsinstitut Prometheus und ist Mitbegründer und Koordinator des Bildungsprojekts „Woche der Freiheit“. Dieser Artikel ist zuerst am 20. Mai 2016 auf der Website des Prometheus-Instituts erschienen.

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