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12.01.2016
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ULLI KULKE | Was Köln mit Fukushima zu tun hat

ULLI KULKE | Was Köln mit Fukushima zu tun hat
Der Silvesterkrawall in Köln werde nur ausgenutzt von interessierten Kreisen, hören wir allenthalben. Die Ängste würden nur geschürt, alles nutzt nur den Falschen. Wie war das eigentlich damals, nach Fukushima?

Es hat sich einiges getan in der Politik und auch in der Berichterstattung in den Medien. Was heute Hasso Mansfeld in dem Internet-Mediendienst Meedia über anfänglich unsägliche Beschwichtigungen und Relativierungen der Ereignisse in den beiden großen Fernsehanstalten, aber auch in der Süddeutschen Zeitung und der taz schreibt, stimmt zwar, ist ein wichtiger Zwischenruf und sollte weiterhin zu denken geben. Inzwischen aber, so scheint mir, haben sogar die öffentlich-rechtlichen Anstalten dazu gelernt. Auch wenn immer noch und immer wieder relativiert wird, was das Zeug hält, die Nachrichtenlage scheint halbwegs korrekt widergegeben.

Hat auch die Politik gelernt? Punktuell offenbar schon, wenn man den Verlautbarungen glauben schenken kann. Die Frage ist, ob die Kölner Ereignisse als eine Art Wendepunkt in der Flüchtlingspolitik in die Geschichte eingehen werden. Haben wir hier gerade eine Art „Fukushima“ erlebt? Hin und wieder taucht der Begriff in der Debatte auf. Kommt jetzt die nächste große Wende von Merkel (oder ohne sie)? Eine spannende Frage, Wetten werden angenommen. In einem aber möchte ich jetzt schon einen deutlichen Bezug zu Fukushima herstellen. In dem nämlich, was beide Ereignisse in den Köpfen der Menschen angerichtet haben – und was wiederum die anderen meinen, was in den Köpfen der anderen passiert sei.

Die Kölner Ereignisse seien nur „Wasser auf die Mühlen der Falschen“

Die Kölner Ereignisse seien nur „Wasser auf die Mühlen der Falschen“, lesen wir allenthalben, „darauf haben die Rechten nur gewartet“, all das nutze nur den Populisten, den Hetzern, den Rattenfängern und wie sie alle heißen. Das mag so sein, und dass sich manche dabei die Hände reiben, ist schlicht anzunehmen, alles andere wäre weltfremd. Die Betonung auf diese Mechanismen findet jedoch in einer derartigen Inbrunst – und Ausschließlichkeit – statt, dass die Absicht, etwas anderes unter den Tisch zu kehren, zu verbrämen, nur allzu deutlich sichtbar wird: Dass nämlich Menschen nach Silvester 2015/16 wirklich mehr Angst haben.

Die eigentlich naheliegende Annahme, dass die Angst gestiegen ist, wird einfach versteckt, verräumt hinter einer Wand von unsäglichen utilitaristischen Denkmustern: Wem nutzt Köln, und wie kann ich den Betreffenden am besten in die Parade fahren, ihn auskontern? Gewachsene Ängste selbst ernst zu nehmen wird bestenfalls als nebensächlich, schlimmstenfalls als hinderlich angesehen. Dabei geht es genau darum: Wie gehen wir damit um, dass Menschen sich vor bestimmten Entwicklungen schon lange fürchteten und sie darin durch die Silvesterereignisse auch noch bestärkt wurden – ganz ohne Hetze, ganz ohne Propaganda, ganz ohne Pegida, einfach so durch das Geschehen, so was kommt nämlich auch vor. Menschen, deren Ängste noch potenziert werden, wenn sie merken, dass sie verarscht werden, dass man sie nach Strich und Faden angelogen hat, mit Vortäuschungen beschwichtigen wollte. Deren Unwohlsein gestiegen ist, ohne dass irgendwelche rechten Schreihälse ihnen dies eingebrüllt haben. Das brauchen sie nämlich nicht.

Profiteure der Angst 

Vielleicht hilft es ja bei der Suche nach Verständnis dem einen oder der anderen ein wenig, wenn sie sich an die Ereignisse und die Nachbeben von Fukushima erinnern. Haben da nicht auch viele ihr Süppchen auf dem hochkochenden Reaktor gekocht und sich dadurch politisch oder wirtschaftlich durchaus mästen können. Vielleicht etwas maliziös, aber nicht ganz unberechtigt ist die Annahme, dass viele jetzt, nach Silvester, nur die Profiteure der Angst sehen und die Angst selbst nicht, und zwar nur deshalb weil sie damals, bei Fukushima, auch nur ihre politischen Profite einfahren wollten und ihnen die Atomangst der Menschen nebensächlich war: Den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie und den Einstieg in eine neue Energiewelt. Die Grünen wurden gestärkt, die milliardenschwere Branche der Erneuerbaren war nicht unglücklich über den unerwarteten, aber willkommenen „Windfall“-Profit.

Wenn Claudia Roth 2013 meinte, die 16.000 Tsunami-Toten seien alles Opfer der Atomindustrie gewesen, so liegt jedenfalls der Verdacht auf der Hand, dass sie da einiges ausgeblendet hatte.

Natürlich hatten damals nach dem Atomunfall viele Angst, sehr viele, darum ging es ja in erster Linie, daran gibt es nichts zu rütteln, diese Ängste galt es ernst zu nehmen, darauf einzugehen. Aber diese Angst wurde eben auch geschürt, mit teils völlig unsinnigen, überzogenen Argumenten (vor allem was die Eile der Wende anging) – so wie es heute auch der Fall ist, von interessierter Seite, damals wie heute.

Übrigens, nur am Rande: Damals waren die Deutschen die einzigen, die diesen radikalen Umbruch vollzogen, an dem wir inzwischen ziemlich zu knabbern haben. Und heute, in der aktuellen Diskussion um Köln steht das Land wieder in den Augen der Weltöffentlichkeit als ein ganz besonderes, einmaliges da.

So, und jetzt werden mich viele verdammen mit dem Argument, dass ich die Flüchtlingskrise mit einem Atomunfall vergleiche. Das wäre allerdings unsinnig, weil es mir um Denkmuster, um die Aufbereitung, nicht um die Wucht des Ereignisses selbst geht. Und dennoch: wenn wir uns jetzt einmal völlig frei machen von dem „Qui bono?“-Denken (wem nützt es?), von Kriegsgewinnlern – dann darf jeder für sich entscheiden, welche politische Reaktion er für dringender (oder überhaupt für nötig oder unnötig) hielt bzw. hält: Die Energiewende damals oder die Wende in der Flüchtlingspolitik heute.

Der Beitrag erschien zuerst bei Donner und Doria, hier.






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