15.09.2015
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GIDEON BÖSS | Merkels bipolare Flüchtlingspolitik

GIDEON BÖSS | Merkels bipolare Flüchtlingspolitik
Warum genau jetzt? Seit Jahren tobt der Krieg in Syrien, es finden ethnische Säuberungen statt, es wird Giftgas eingesetzt. Über 200.000 Menschen wurden schon getötet. All das hat Deutschland bislang wenig interessiert. Auch nicht jene, die plötzlich mit ihren „Refugees welcome“-Hemden an Bahnhöfen stehen und denen applaudieren, die nun aus der Krisenregion hier ankommen. Was hat sich denn geändert?

Meine Vermutung: sehr wenig. Den meisten Menschen hier ist das Morden weiterhin egal und ihr Sinneswandel hat nichts mit den Ereignissen in Syrien zu tun. Stattdessen liegt der Schlüssel zu ihrem Engagement in Freital und Heidenau. Ein infantiler Antifaschismus lässt sich von den paar Kaputten, die in sächsischen Dörfern gegen Flüchtlinge hetzen, seinen moralischen Kompass diktieren. Weil in Freital und Heidenau gegen Flüchtlinge gehetzt wird, will das weltoffene Deutschland erst recht umso mehr Flüchtlinge aufnehmen. Das ist sicher keine angemessene Grundlage, um politische Entscheidungen zu treffen, die dramatische Folgen für Millionen Menschen weltweit haben. (Die Konsequenzen sind ja an Angela Merkels bipolarer Flüchtlingspolitik schon zu besichtigen.)

Die Integration von 800.000 Flüchtlingen, laut Sigmar Gabriel sollen es sogar über eine Million werden, wird sicherlich kompliziert. Wobei ich dabei die logistischen Herausforderungen noch für die am wenigsten schwierige halte. Entscheidend dürfte vielmehr sein, wie selbstbewusst Deutschland seine liberale Demokratie als alternativloses Gesellschaftsmodell verteidigt. Wer mit Frauenrechten, freier Presse, unabhängiger Justiz, mit Meinungs- und Religionsfreiheit nichts anfangen kann und sie zu zerstören versucht, sollte in Deutschland eben nicht willkommen sein. Auch wäre es von Vorteil, die Flüchtlinge nicht zu „edlen Wilden“ zu verklären. Das sind keine edlen Wilden (schon alleine, weil es keine edlen Wilden außerhalb von Karl Mays Kopf gibt), sondern normale Menschen und ein nicht unerheblicher Teil von ihnen kommt hier mit Moralvorstellungen an, die mit den Werten einer offenen Gesellschaft nicht vereinbar sind.

Natürlich kann es gelingen, die Flüchtlinge zu integrieren. Man darf nur nicht annehmen, dass ihr Lebenssinn darin besteht, gelangweilten Wohlstandsdeutschen eine Gänsehaut der Rührung vor dem eigenen Engagement zu ermöglichen. Da kommen Menschen, die sich durchsetzen wollen und versuchen, einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Oder auch neben ihr, wenn es diesen Platz nicht gibt. Oder in Konkurrenz zu ihr. Genau darin wird die Herausforderung bestehen.

Deutschland wird mit dieser Herausforderung fertig, wenn das so genannte „helle Deutschland“ es intellektuell und emotional schaffen wird, einen Faschisten einen Faschisten, einen Antisemiten einen Antisemiten und einen Frauenhasser einen Frauenhasser zu nennen und zwar unabhängig davon, was für eine Hautfarbe und was für einen Geburtsort diese Person hat. Denn unter den Flüchtlingen gibt es nicht nur nette Menschen, die sich nach einem Leben in Freiheit und Sicherheit sehnen, sondern eben auch solche, die sich moralisch auf einem Niveau mit den Nazis von Freital und Heidenau befinden.

Der Beitrag von Gideon Böss erschien zuerst in der Welt, hier.