08.11.2016
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US-Wahl: Die Demokratie zerstört sich selbst

US-Wahl: Die Demokratie zerstört sich selbst
Egal, wer am Dienstag ins Weiße Haus einziehen wird: Der US-Wahlkampf hat gezeigt, dass die westliche Demokratie an ihre Grenzen stößt. Sie bringt Gesellschaften hervor, die ihre eigenen Voraussetzungen zerstören. von Alexander Grau

Es ist endlich soweit. Hinter uns liegt dann der entwürdigendste und in seiner vulgären Trivialität abschreckenste Wahlkampf, den die westliche Nachkriegswelt gesehen hat.

Nun sind amerikanische Wahlkämpfe im Vergleich zu europäischen traditionell etwas robuster, und noch die plattesten Produkte bundesrepublikanischer Wahl-PR wirken im Vergleich zur Dramaturgie amerikanischer Wahloperetten wie tiefgründige Beiträge zu einem Oberseminar in politischer Philosophie.

Die boulevardeske Obszönität, die diesjährige Kampagne prägte, markiert jedoch einen weiteren großen Schritt auf der nach oben hin offenen Skala von Verrohung und Schäbigkeit. Was von dieser Wahlkampf-Groteske im Gedächtnis bleiben wird, ist eine Ansammlung von Sex, Crime und verbalen Widerwertigkeiten.

Der Ton verschärft sich seit 1995

Man könnte das als Einzelfall abhaken, als singulären Ausdruck einer besonders ungünstigen Situation, in der ein dilettantischer Außenseiter sich zum Kandidaten der stolzen „Grand old Party“ aufschwingen konnte und auf eine Gegenkandidatin traf, die aufgrund ihrer jahrzehntelangen Verankerung im politischen System nicht nur blass und uninspirierend wirkte, sondern unschöne Altlasten mit sich herumschleppte.

Aber das wäre naiv gedacht. Denn spätestens seit Newt Gingrich als Führer des Repräsentantenhauses ab 1995 Fundamentalopposition gegen den Zigarrenerotiker Clinton betrieb, hat sich der innenpolitische Ton in den USA kontinuierlich verschärft. Und eine Wende ist nicht in Sicht – unabhängig davon, wer am Mittwoch als neuer US-Präsident feststehen wird.

Die westliche Demokratie – ein Auslaufmodell?

Die Ursachen dafür sind offensichtlich: Die Demokratie traditionellen westlichen Zuschnitts, insbesondere das Zweiparteiensystem der Vereinigten Staaten, ist nicht mehr in der Lage, die zunehmend heterogene, in unterschiedlichste Submilieus und Überzeugungsgemeinschaften zerfallende Gesellschaft politisch abzubilden. Selbst innerhalb der traditionellen politischen Großlager, der Linken und der Rechten, sind die Spannungen und Differenzen so groß, dass ein gemeinsames politisches Handeln kaum noch möglich ist.

Schlimmer noch: Die gesellschaftliche Diversifizierung produziert unüberbrückbare kulturelle und weltanschauliche Spannungen, die die Demokratie traditioneller Form zunächst in eine Eskalationsspirale zu reißen droht – und schließlich in die Selbstauflösung.

Notwendige Gleichheit der Andersartigen

Noch immer sind die Vereinigten Staaten ein ausgezeichneter Seismograph zukünftiger Entwicklungen westlicher Gesellschaften. Die Anfänge dessen, was wir heute in den USA beobachten, sind schon lange in Europa angekommen – die Erosion der Demokratie in ihrer bisherigen Form.

Denn Demokratie ruht auf Voraussetzungen, die sie selbst weder garantieren noch herstellen kann. Und damit sind nicht nur ein paar Grundwerte gemeint. Unausgesprochen setzt jede Demokratie voraus, dass die zur Wahl stehenden politischen Lösungsangebote innerhalb eines gewissen Rahmens verbleiben, so dass auch die Anhänger der Wahlverlierer – zähneknirschend vielleicht – damit leben können, zumindest bis zur nächsten Wahl.

Das bedeutet: Die jeweiligen politischen Gruppen dürfen nicht das Gefühl haben, dass im Falle der Machtübernahme der Gegenpartei eigene fundamentale Normen infrage gestellt oder gar sanktioniert werden. Pluralistischer Meinungswettstreit setzt einen gemeinsamen Welthorizont voraus. Garantiert wird diese notwendige Homogenität im Heterogenen durch eine gemeinsame Kultur, gemeinsame Traditionen und gemeinsame Prägungen. Hier liegt das eigentliche Problem.

Beginn des mentalen Bürgerkriegs

Denn zugleich haben Demokratie und freie Marktwirtschaft zu einer historisch einmaligen Diversifizierung westlicher Gesellschaften geführt: Milieus haben sich aufgelöst, Überlieferungstraditionen sind abgebrochen, Lebensstile differieren wie noch nie zuvor in der Geschichte. Eine allgemeinverbindliche Leitkultur gibt es nicht. Migrationsbewegungen und sich emanzipierende Minderheiten bewirken ein Übriges. Zunehmend stehen sich soziale Milieus und Subkulturen mit offenem Unverständnis, teilweise in deutlicher Abneigung gegenüber. Die Basis gemeinsamer Kommunikation schwindet. Die weltanschauliche Gegenseite wird als verlogen und unmoralisch wahrgenommen. Der mentale Bürgerkrieg beginnt.

Die Annahme, dass ein paar Verfassungsgrundsätze als Basis einer demokratischen Gesellschaft ausreichen, droht als gefährlicher Irrtum entlarvt zu werden – geboren in Zeiten relativer kultureller Homogenität. Das erfolgreichste Staatsmodell der Menschheit, die westliche Demokratie, generiert zunehmend Gesellschaften, die ihre eigenen Voraussetzungen zerstören.

Der „Clash of Civilizations“, den Samuel Huntington vor 20 Jahren prognostizierte, er wird innerhalb der westlichen Gesellschaften stattfinden – nicht an ihren Grenzen. Wenn nicht alles täuscht, war der diesjährige amerikanische Wahlkampf nur ein Vorgeplänkel dessen, was noch auf uns zukommt.

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Im Dezember 2014 erschien der von ihm herausgegebene Band „Religion. Facetten eines umstrittenen Begriffs“ bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig. Dieser Text ist am 5. Novrmb er 2016 in seiner Kolumne "Grauzone" auf Cicero Online erschienen.