31.08.2016
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"Die USA wimmeln nur so von Parallelgesellschaften"

"Die USA wimmeln nur so von Parallelgesellschaften"

Die deutsche Burka-Debatte aus amerikanischer Sicht

Hannes Stein ist Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ und lebt in den USA. Von dort aus hat er einen Blick auf die deutsche Burka-Diskussion geworfen – und wundert sich. „In den Vereinigten Staaten hat sich der Staat nicht in religiöse Dinge einzumischen“, konstatiert er in seinem am 29.8.16 in der „Welt“ erschienenen Kommentar „George Washington hätte nichts gegen die Burka“. Denn natürlich gibt es in den USA kein Burka-Verbot: „Hier laufen die Amish mit komischen Hüten und langen Bärten herum, die Sikhs tragen Turbane, die ultrafrommen jüdischen Frauen rasieren sich den Kopf und setzen sich Perücken auf. Und das First Amendment beschützt sie alle: Der Staat hat sich in den Vereinigten Staaten nicht in religiöse Dinge einzumischen.

Spannend ist auch Steins Exkurs in die US-amerikanische Geschichte. Denn Religionsfreiheit gilt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht als gnädiger Akt altruistischer Toleranz, sondern als „Naturrecht“. Zu Recht verweist Stein darauf, dass man derlei Dinge in Amerika offensichtlich deutlich lockerer sieht als in Deutschland: „Hier redet auch kein Mensch von ‚Integration‘ (hier gibt es ja noch nicht mal eine offizielle Landessprache, stellen Sie sich das vor!), und das Land wimmelt nur so von Parallelgesellschaften. Chinatown, Koreatown und die Russen und Ukrainer von Brighton Beach. Unter uns: Ich finde das prima.“

Einen letzten Denkanstoß liefert Stein mit dem Hinweis auf einen frauenfeindlichen Brauch, der die Burka „beinahe harmlos“ aussehen ließ: die chinesische Tradition, die Füße kleiner Mädchen zu „binden“, also zu verkrüppeln, damit sie in niedliche Schühchen passten. Es habe verschiedene erfolglose Versuche gegeben, diesen brutalen  Brauch, das "Füßebinden" zu untersagen.

Und doch sei es dann am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, ihn abzuschaffen. Und wodurch? Dadurch, dass chinesische Frauen mit ausländischen Ideen in Kontakt kamen, Sportschulen für Mädchen gründeten und sich so langsam der Ehrenkodex änderte. „Diese Änderung des Ehrenkodexes wäre nie erfolgt, wenn sie per Gesetz von der Obrigkeit verhängt worden wäre. Sie musste von innen kommen. (…) Wären seine Gegner Leute gewesen, die die chinesische Kultur verachteten und die Lehren des Konfuzius gering schätzten, hätte die Sache nie funktioniert“, führt Stein aus.

Was liegt ferner, als diesen Aspekt einmal auf unsere sehr verkrampfte Diskussion über verschiedene Formen der Verschleierung zu übertragen. Dies könnte sicherlich den einen oder anderen Angstkrampf lösen helfen...