15.07.2016
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Ein grausiger Ausflug auf den „Raucherfriedhof“

Ein grausiger Ausflug auf den „Raucherfriedhof“
Der Verein „Pro Rauchfrei e.V.“ vereinnahmt Helmut Schmidt und erklärt ihn posthum zum „Kämpfer für ein neues Tabakgesetz“. Wie tief kann man eigentlich sinken, fragt sich Roland Dittmar.

Kürzlich habe ich einen kleinen virtuellen Ausflug auf einen kleinen, aber feinen „Raucherfriedhof“ getätigt, der auf einer Website einer Vereinigung namens „Pro Rauchfrei e.V.“ beheimatet ist. Auf dieser Seite, so lernt man beim Betreten, werden prominente Persönlichkeiten aufgelistet, „bei denen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie aufgrund ihres Rauchens gestorben sind (ab 2015). Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass der Krebstod ein typischer Rauchertod ist, der erst nach Jahrzehnten auftritt. Rauchen ist auch die bedeutendste Ursache für das Auftreten von COPD und erhöht deutlich das Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen. Zwei von drei Rauchern sterben – meist vorzeitig – an ihrer Sucht.“

Im Anschluss an diese Erklärung wird aufgeführt, wer hier „beerdigt“ wurde: 23 Prominente aus aller Herrenländer haben auf dem Raucherfriedhof des Vereins „Pro Rauchfrei e.V.“ ihre letzte Ruhe gefunden: 17 verstarben an Krebs (die Krebsart wurde hier leider nicht angegeben, ist aber auch egal, jetzt wo sie tot sind), drei verstarben durch Organversagen, einer durch COPD und einer durch einen Schlaganfall. Bei dem kürzlich verstorbenen Arne Elstholtz (u.a. der deutsche Synchronsprecher von Tom Hanks) konnte die Friedhofsverwaltung die Todesursache nicht ermitteln. Da Elstholtz aber als Raucher bekannt war, lag es für „Pro Rauchfrei e.V.“ scheinbar auf der Hand, ihn posthum zum Botschafter der eigenen guten Sache zu machen.

Wenn man sich die Mühe macht und die Lebensjahre jener auf dem Raucherfriedhof versammelten Prominenten zusammenzählt, kommt man auf einen Durchschnitt von 67,57 Lebensjahre. Nun ja, lieber 67,5 Jahre gut gelebt als 80 Jahre dahinvegetiert, könnte man argumentieren. Warum allerdings Jopi Heesters nicht auf dem Raucherfriedhof liegt, obwohl dieser erwiesenermaßen promiment war und erst im zarten Alter von 107 Jahren das Rauchen aufgab, ist mir schleierhaft. Ob das etwas mit meiner Rechnung zu tun hatte?

Fragen könnte man sich aber auch, welche Kriterien denn außer dem „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ durch das Rauchen ausgelöste Ableben noch erfüllt werden mussten, um von den Bestattern von „Pro Rauchfrei e.V.“ aufgenommen zu werden. Beruflicher Natur konnte das Kriterium nicht sein, liegen doch ein spanischer Stadionsprecher, zwei britische Musiker, ein US-Filmschauspieler und mehrere prominente Deutsche, Verleger, Schauspieler, Politiker einträchtig nebeneinander.

Am Ende der Liste erfährt man dann mehr über das diese 23 Verstorbenen einigende Moment: Nach Angaben der Friedhofsverwaltung waren sie allesamt „Kämpfer für ein neues Tabakgesetz“. Doch als ich die Namen der verstorbenen Prominente durchforstete, bekam ich Schnappatmung: Da liegt doch tatsächlich ein deutscher Politiker und ehemaliger Bundeskanzler namens Helmut Schmidt beerdigt, der doch angeblich in Hamburg seine letzte Ruhe fand! Habe ich doch im Fernsehen mitbekommen. Nun kann ich nicht sicher sein, ob man ihn wieder ausgebuddelt und in einer heimlichen Nacht- und Nebelaktion bei „Pro Rauchfrei“ auf dem Raucherfriedhof beigesetzt hat. Dies würde doch den Tatbestand der Störung der Totenruhe bedeuten, oder?

Oder verspricht man sich durch eine solche sicherlich nicht mit ihm zu Lebzeiten abgesprochene Umbettung einen posthumen Fitnessschub durch fortgesetztes Rotieren im Grabe? Knapp neben Schmidt ruht übrigens Roger Cicero, von dem bekannt ist, dass er die letzten zehn Jahre seines Lebens Nichtraucher war. Dass Harry Rowohlt auf der Liste als „Verleger“ bezeichnet wird, zeigt, wie gering das Interesse der Friedhofsverwaltung an seiner Klientel ist. Wenn Rowohlt irgendetwas nicht wahr, dann Verleger – und Bruder im Geiste des Vereins „Pro Rauchfrei“.

Endgültig die Sprache verschlug mir aber die freche Behauptung, Helmut Schmidt sei ein Kämpfer für ein neues Tabakgesetz gewesen! In seiner knappen hanseatischen Formulierung hatte er dereinst auf die Frage eines Journalisten nach neuen Nichtrauchergesetzen geantwortet: „Unsinn!“ Mich würde wirklich interessieren, wie viele der auf dem Raucherfriedhof beigesetzten Prominenten tatsächlich dieser virtuellen Bestattung ihren Segen gegeben hätten.

So langsam wurde mir der Aufenthalt auf dem prominenten Raucherfriedhof dann aber doch zu gruselig. Insgeheim befürchtete ich, irgendwo in einem neuen Seitenflügel des Raucherfriedhofs einen virtuell für mich vorgemerkten Grabstein zu entdecken. Bei meinem nächsten Ausflug ins Internet werde ich mich der Frage widmen, ob man irgendwo eine Versicherung gegen posthume Vergewaltigung und Instrumentalisierung durch gewissenlose Polit-Aktivisten abschließen kann.

Roland Dittmar ist Mitglied des Vorstandes von BFT e.V.