15.04.2015
| Gesellschaft | 9 |

That is great, Annegret!

That is great, Annegret!
Eine Berlinerin im Rentenalter bekommt Vierlinge. Matthias Heitmann wünscht alles Gute.

Wann ist man genau richtig alt, um Kinder in die Welt zu setzen? Wer diese Frage meint, allgemeingültig für alle beantworten zu können, möge sich bitte melden. Fakt ist: Eine steigende Zahl Mädchen könnte bereits mit 12 oder 13 Jahren Kinder kriegen. Kaum einer hält das für sinnvoll. Wer will schon Kindern zumuten, gewissermaßen gemeinsam mit ihren Müttern erwachsen zu werden? Ein bisschen älter sollte man also eigentlich schon sein, stimmts?

Ist man mit Anfang 20 persönlich reif genug? Mit Sicherheit stehen hier die Chancen besser als bei einer Teen-Mom. Andererseits haben sich nur wenige junge Frauen mit Anfang 20 schon entschieden, wie sie ihr späteres Leben gestalten wollen, geschweige denn mit wem. Kind oder Karriere? Kerle oder Kinderwägen? Party oder Pampers? Jede junge Frau, die entscheidet, dass sie jetzt noch nicht unbedingt Kinder bekommen muss, erntet großes Verständnis.

Also dann eher mit Ende 20 oder Anfang 30? Ja, macht schon Sinn, irgendwie. Andererseits ist frau da ja beruflich auf dem Höhepunkt der Schaffenskraft, und wenn sie nun, weil sie vielleicht auch nicht nur ein, sondern zwei oder drei Kinder bekommen möchte, für ein paar Jahre aussteigt, wäre sie definitiv raus aus dem Business. Und wozu dann vorher jahrelang studiert und verhütet haben, wenn man dann zur Ernte ausscheidet? Also lieber noch ein paar Jahre auf die Karriereleiter springen und sich dann, weil frau es sich ja nun bewiesen hat, aufs Kinderkriegen konzentrieren? Immerhin könnte frau dann ja auch darauf bauen, dass der potenzielle Vater beruflich so weit gekommen ist, dass nicht mehr beide arbeiten müssen.

Wie jetzt, Kinderkriegen also erst mit Ende 30 oder gar erst Anfang 40? Nun, biologisch ist das ja kaum noch ein Problem heute. Zudem könnte man annehmen, dass ältere Mütter mit beiden Beinen im Leben stehen, einiges erlebt haben und nicht mehr so schnell an ihre eigenen Grenzen kommen wie unsere ambitionierten Karrierefrauen oder die, die es werden wollen. Schon möglich, dass Kinder da entspannter sind. Wenn da nicht die Kerle wären, die gerade dann, wenn es am schönsten ist, anfangen auszuticken! Denn plötzlich stellen die ja in Scharen fest, dass die Welt durchaus jüngere Damen zu bieten hat, die noch nicht so viel erlebt haben.

Außerdem ist gerade die Ankunft in ruhigen Fahrwassern, die objektiv betrachtet gerade perfekt sind, um Kinder aufzuziehen, ein guter Grund dafür, sich noch ein letztes Mal gänzlich neu zu orientieren. Klar war man jahrelang zusammen und kennt sich in und auswendig, ideal zum gemeinschaftlicher Kindererziehung. Aber eben deswegen klingt das ja so verdammt nach altem Ehepaar! Wie wär es denn, stattdessen die eigene Midlife Crisis mit jemand anderem auszuleben? Ist dieser Egoismus besser als der, der älteren schwangeren Frauen vorgeworfen wird?

So, und nun kommen wir zu Annegret. Die 65-jährige Berlinerin erwartet Vierlinge. Wünschen wir ihr doch einfach alles Gute! Warum müssen individuelle Lebensentscheidungen immer gewertet werden, warum lassen wir sie nicht einfach individuelle Lebensentscheidungen sein? Man muss sie ja nicht genauso treffen. Wer will festlegen, dass es Kinder einer älteren glücklichen Mutter schlechter haben werden als die einer jüngeren, die mit ihrem Schicksal hadert? Warum sollen Kinder un den dem Alter der Mutter leiden, warum soll die Mutter der Belastung nicht gewachsen sein, zumal im Falle von Annegret, die ja weiß, worauf sie sich einlässt - immerhin hat sie ja bereits 13 Kinder. Wollen wir in Zukunft Mutterschaft nur noch unter „idealen Bedingungen“ zulassen, also in einer traditionellen Zweierbeziehung, mit einem verheirateten Vater in fester Anstellung, mit Eltern, die beide einen gesunden BMI vorweisen können, niemals geraucht oder sonst irgendetwas getan haben, für das sie sich heute schämen? Wollen wir solche Kinder, oder welche, die sich durchbeißen und Situationen meistern, die nicht jeder kennt?

Natürlich darf jeder Mensch eine Meinung darüber haben, wann es aus seiner Sicht am besten ist, wie viele Kinder zu bekommen. Meine Frage aber lautet: Warum soll mich diese Meinung interessieren? Warum muss eine solche Frage überhaupt öffentlich debattiert und warum muss hier moralisch geurteilt werden? Und vor allen Dingen: Wer legt fest, was verurteilenswert ist und was nicht?

Es reicht nicht aus, immer nur für sich das Recht einzufordern, selbständig Entscheidungen treffen zu dürfen. Wer sich darauf beschränkt, hat missverstanden, um was es bei Freiheit geht. Sein eigenes Freiheitsrecht kann man nur dann effektiv verteidigen, wenn man die Freiheitsrechte anderer verteidigt – gerade auch dann, wenn man mit ihnen nicht übereinstimmt.

Wenn Sie also auch künftig noch selbst entscheiden wollen, ob und wann Sie Kinder bekommen, dann wäre es ratsam, Annegret kräftig die Daumen zu drücken, dass alles gut geht.


Matthias Heitmann ist freier Journalist, Redakteur der BFT Bürgerzeitung und Buchautor. In Kürze erscheint im TvR Medienverlag sein neues Buch „Zeitgeisterjagd“. Seine eigene Website findet sich unter http://www.zeitgeisterjagd.de.