Freitag, 19. April 2024

08.07.2016
| Gesellschaft | 0 | Drucken

CSD Frankfurt 2016: Hitler-Satire fällt bei Homosexuellen durch

CSD Frankfurt 2016: Hitler-Satire fällt bei Homosexuellen du...
In Frankfurt plärrt ein gewisser „Adrian H.“ mit markantem Oberlippenbart und rosa Uniform: „Lieb – geil“. Die Hitler-Figur sollte Botschafter des diesjährigen Christopher Street Days werden, wurde aber nach heftigen Protesten von den Veranstaltern wieder ausgeladen. Es zeigt sich: Queer-Sein ist nicht dasselbe wie Querdenken. Von Matthias Heitmann

Was passiert, wenn beim Christopher Street Day in der Frankfurter Innenstadt ein gewisser „Adrian H.“ in einer rosafarbenen (Ver-)Führeruniform und mit einem eindeutigen Schnauzbart ein nicht minder zackig-eindeutiges „LIEB – GEIL!“ in die johlende Menge ruft? Werden die versammelten Lesben, Gays, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTI) den Reflex, den rechten Arm zu heben, unterdrücken können? Werden die ohnehin überforderten und irritierten Passanten mit einstimmen oder aber die Polizei holen und die versammelte Regenbogentruppe wegen akuter Volksverhetzung anzeigen?

Wenn es nach den Vorstellungen der Veranstalter des CSD Frankfurt gegangen wäre, hätte man Mitte Juli an der Frankfurter Konstablerwache dieses Szenario mit eigenen Augen erleben können. Und sehr wahrscheinlich hätte man dabei viel Spaß haben und gleichzeitig ein eindrucksvolles Zeichen gegen Rechtsradikalismus, gegen Verbote und für die Freiheit der Satire setzen können. Für die diesjährige Veranstaltung hatte man sich als Botschafter für „Adrian H.“ entschieden. Hinter der Kunstfigur in rosa Uniform steckt Tim Karasch, der diese mit seinem Partner Jochen Döring vom Comedy-Duo „Frankfurter Klasse“ entwickelt hat. H. stellt sich in Videos und auf der Bühne als gebürtigen US-Amerikaner und als „Großneffe eines berühmten Mannes“ vor, will aber nach eigenen Angaben eher wenig mit diesem wohl berühmtesten Österreicher aller Zeiten gemein haben.

Adrian H. tritt seinen Ankündigungen zufolge für die „totale Durchrassung aller Menschen“ ein, will die Vermehrung ankurbeln und zudem „Orgasmuskurse für Frauen“ anbieten. Mit dem Motto „Liebe für alle! Mit und für jeden. Bis wir alle braun sind!“ und dem Kampfspruch „Lieb Geil!“ taucht er schon seit einiger Zeit auf Theater- und Comedybühnen der Republik auf. Sogar eine Partei will er gegründet haben: Die L.S.D.A.P. (Liebes Süchtige Deutsche Amor Partei) will die Abschaffung des sexuell-geschlechtsbegrenzenden, altmodischen Konstrukts der Ehe vorantreiben. Kurz gesagt: H. möchte der größte Politiker Europas werden, um dann mit seinem Feldzug namens „Unternehmen Barbar-Rosa“ nach Russland einzumarschieren, um dort „den Halbnackten“ vom Pferd zu holen.

Mit der Wahl von Adrian H. zum Maskottchen des diesjährigen CSD und mit der Festlegung des Mottos „LIEB GEIL“ habe man gezielt provozieren, „den Rechtspopulisten den Stinkefinger zeigen“ und „die Community auffordern [wollen], sich mit aller Kraft für eine offene und respektvolle Gesellschaft einzusetzen“. Eine Veranstaltung wie der Christopher Street Day müsse auf den aktuellen Rechtsruck in der Gesellschaft reagieren, erklärten die Frankfurter Organisatoren: „Denn bei allen spezifischen Forderungen, die eine Gruppe wie die unsere für sich in Anspruch nimmt, ist es ihre Pflicht, in aller Deutlichkeit die Grundwerte einer freien Gesellschaft zu festigen.“

Linker Shitstorm gegen Hitler-Satire

Doch ganz offensichtlich teilen Teile der Community die Liebe der CSD-Veranstalter zu den Grundwerten einer freien Gesellschaft nicht, oder aber sie haben das Motto der diesjährigen Parade in Frankfurt ganz grundsätzlich missverstanden. Denn zum geplanten Auftritt von Adrian H. wird es nicht kommen – nicht etwas wegen Protesten von rechts, sondern wegen harscher Kritik aus den eigenen Reihen. Die eigentliche Satire begann nach dem Bekanntwerden der Pläne der CSD-Veranstalter – in Form eines Shitstorms gegen die geschmacklose „Verherrlichung von Nazisymbolen“. „Die Kritik aus der Community war massiv“, erklärte CSD-Sprecher Joachim Letschert. Einige Gruppen hatten angekündigt, die Veranstaltung zu boykottieren, andere kündigten Gegenveranstaltungen an. Im Internet war unter anderem von einer „äußerst unappetitlichen Zumutung“ sowie von „gedanklichen Entgleisungen“ der CSD-Organisatoren die Rede.

Das „Autonome Schwulenreferat der Frankfurter Goethe-Universität kritisierte, „rechte Symbole würden durch einen satirischen Umgang eher legitimiert“. Man hatte offensichtlich Angst, die Stimmung könne außer Kontrolle geraten, wenn viele Menschen in der Frankfurter Innenstadt das Motto „LIEB GEIL!“ rufen und den Arm heben. Für das Präventionsprojekt der Aidshilfe Hessen „Hessen ist geil“ kündigte Björn Beck in einer Erklärung vom 25. Juni 2016 ebenfalls das Fernbleiben an: Dort hielt man den Veranstaltern einen Mangel an „Weitblick, Selbstreflexion und Wissen um die eigene historische Verantwortung“ vor und betonte, man dürfe sich nicht anmaßen, „Täter_innensprache auf diese Weise zu verwenden“, und man habe die Pflicht, die Überlebenden der Shoah und ihre Nachkommen „vor einer (Re-)Traumatisierung zu schützen“. In einer Pressemitteilung distanzierte sich auch die Bundeskonferenz der schwulen, schwul-lesbischen und queeren Hochschulreferate von dem „paradoxen und verantwortungslosen Geschichtsverständnis“, das die Organisatoren des CSD Frankfurt an den Tag legen würden.

Schließlich sahen sich die Veranstalter des CSD Frankfurt aufgrund dieser massiven Kritik dazu gezwungen einzulenken. Der Auftritt von Adrian H. wurde abgesagt, und auch das Motto wurde geändert: Statt „Lieb geil“ lautet es nun glattgebügelt „Liebe gegen Rechts“. Die Welle der Empörung hätte das Veranstalter-Team „mit Bestürzung aufgenommen“, erklärte Letschert, der dem neuen Motto offensichtlich wenig abgewinnen kann: „Daran reibt sich niemand.“ Allerdings müsse man als Veranstalter dafür sorgen, dass der CSD friedlich ablaufe.

Die beiden Künstler der Frankfurter Klasse äußerten aufgrund der Zuspitzungen der letzten Tage Verständnis für die Entscheidung der CSD-Organisatoren, das Motto kurzfristig zu ändern. Comedian Tim Karasch erklärte aber auch: „Wir verstehen nicht, wie man diese totale Verunglimpfung Hitlers als Verherrlichung missverstehen kann. Humoristisches über einen Diktator wurde und wird in einem totalitären System in der Regel mit drastischen Strafen belegt – nicht zuletzt vor diesem Hintergrund können wir den Vorwurf der Verherrlichung nicht nachvollziehen. Während des Nationalsozialismus wäre ein Künstler, der sich mit einer Kunstfigur wie Adrian H. der Öffentlichkeit preisgegeben hätte, mit ziemlicher Sicherheit inhaftiert und mit dem Tode bedroht worden.“

Angst und Misstrauen statt Mut zur Freiheit

Angesichts der massiven Kritik aus der eigenen Community ist das Einlenken der Veranstalter des Frankfurter CSD nachvollziehbar. Es bleibt aber bedauerlich. Bedenklich hingegen ist der Umstand, dass der satirische Umgang mit Diktatoren mittlerweile nicht mehr nur von diesen selbst, sondern auch von Menschen kritisiert wird, die sich selbst als Verfechter individueller Lebensentwürfe und als Verteidiger der persönlichen Freiheit verstehen. Allein daran zeigt sich bereits, wie sehr die Veranstalter mit „LIEB GEIL“ und Adrian H. inhaltlich ins Schwarze getroffen hatten.

Mehr noch: Der Shitstorm gegen die Hitler-Satire unterstreicht, dass die Vorstellung weit verbreitet ist, man müsse die eigenen politischen Anliegen gegen die Grundwerte einer freien Gesellschaft durchsetzen. Der erzwungene Verzicht auf die provokante CSD-Kampagne „LIEB GEIL“ ist ein weiteres Beispiel dafür, dass unsere Gesellschaft zunehmend Angst vor der eigenen Freiheit hat. In den vergangenen Monaten wurde das in den Auseinandersetzungen um Charlie Hebdo oder auch um das Böhmermann-Schmähgedicht deutlich. Mit dem Auftritt von Adrian H. hätte die LGBTI-Community zeigen können, wie ernst es ihr mit der individuellen Freiheit wirklich ist. Stattdessen macht sie sich so zum Opfer ihrer eigenen Vorurteile. Das ist bedauerlich.

Matthias Heitmann ist Redakteur der BFT Bürgerzeitung und Autor des Buches „Zeitgeisterjagd. Auf Safari durch das Dickicht des modernen politischen Denkens“ (TvR Medienverlag, Jena 2015). Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de. Dieser Artikel ist zuerst am 7.7.16 auf Cicero Online erschienen.

Foto: Christian Engels

Kommentar schreiben


Sicherheitscode
Aktualisieren


Facebook Kommentar