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07.07.2016
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Keine Gefangenen!

Keine Gefangenen!
Die Auseinandersetzung bezüglich der Übernahme von Monsanto durch Bayer hat längst religiöse Züge angenommen. Der übliche Ablaßhandel zwischen Unternehmen und NGOs wir hier nicht funktionieren. Von Hasso Mansfeld und Sebastian Moll.

Um die Überlegenheit des christlichen Glaubens über die Naturreligion der Heiden zu demonstrieren, ließ der Missionar Bonifatius im Jahre 723 die Donar-Eiche, die dem germanischen Gott des Donners geweiht war, öffentlich fällen. Dass ihr Gott die Zerstörung seines Heiligtums nicht verhindern konnte, erschütterte die Germanen zutiefst und bereitete den Siegeszug des Christentums vor.

Mehr als tausend Jahre schien die germanische Naturreligion endgültig besiegt. Doch ausgerechnet zur Zeit der europäischen Aufklärung kehrte sie durch das Werk Rousseaus in die Köpfe vieler Menschen zurück. 1756 veröffentlichte der französische Gelehrte seine Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, die unter dem Motto Zurück zur Natur stand. Laut Rousseau ist der Mensch in seinem Naturzustand ein edles und gütiges Wesen, dessen Boshaftigkeit erst durch die widernatürliche Lebensweise moderner Zivilisation hervorgerufen wird. Mit dieser Überzeugung stellte sich Rousseau nicht nur gegen den christlichen Konsens, sondern auch gegen viele zeitgenössische Philosophen der Aufklärung, die an den Fortschritt der menschlichen Gesellschaft glaubten.

Existentieller Konflikt

Der Kampf zwischen jenen, denen die Natur als anbetungswürdig gilt, und jenen, die auf das Entwicklungspotential des Menschen vertrauen, scheint zu den existentiellen Konflikten der Weltgeschichte zu gehören, die sich in verschiedenen Epochen auf unterschiedliche Weise manifestieren. Das heutige Symbol dieses Konflikts ist die industrielle Landwirtschaft, die wiederum aufs Engste mit dem Namen Monsanto verknüpft ist.

Die Attacken gegen den amerikanischen Saatguthersteller von Seiten unterschiedlicher NGOs haben längst religiöse Züge angenommen. Monsanto ist nicht einfach ein Konzern mit kritikwürdiger Geschäftspraxis – das trifft in den Augen von Greenpeace und Co. ja auf so ziemliches jedes Unternehmen zu. Monsanto ist „Evil Incorporated“, das Böse selbst, nicht als Leibhaftiger mit Hörnern und Dreizack, sondern leibhaftig geworden in Unternehmensform. Nicht umsonst kam der Spitzname „Mon-Satan“ in Umlauf und ist inzwischen zu einem beliebten Hashtag avanciert. Auch die deutschen Zeitungen greifen derzeit verstärkt zur religiösen Rhetorik, sprechen von der „verkauften Schöpfung“, davon, dass sich Konzerne „die Erde untertan machen“ oder fragen mit kaum zu überbietender Theatralik: „Wem gehört das Leben?“

Die wahren Erbens Rousseaus

Wie hat sich Monsanto einen Ruf erarbeiten können, der es offenbar rechtfertigt, auf diversen Plattformen in Social Web sogar mit Auschwitz gleichgesetzt zu werden? Die Antwort liegt in der Kombination der beiden Lieblingsthemen der NGOs: Umwelt und soziale Gerechtigkeit. Monsanto schafft es, so das Szenario, durch Umweltzerstörung soziale Ungerechtigkeit zu erzeugen. Hier erweisen sich die Monsanto-Gegner als die wahren Erbens Rousseaus, der ja ebenfalls einen direkten Zusammenhang sah zwischen der Zerstörung der Natur einerseits und der Ungleichheit unter den Menschen andererseits.

Ob Monsanto nun tatsächlich von Bayer übernommen wird oder nicht, spielt für Greenpeace und Konsorten letztlich keine Rolle. Im schlimmsten Fall müssten die meterhohen Maismonster demnächst dann eben statt in Düsseldorf, wo sich die Deutschlandzentrale von Monsanto befindet, in Leverkusen aufgestellt werden. Bayer allerdings stünde im Falle einer erfolgreichen Übernahme vor seiner wohl größten Herausforderung in Sachen Unternehmenskommunikation. Andererseits macht der religiöse Fanatismus der Gegner die Suche nach einer geeigneten Unternehmensstrategie denkbar einfach. Es wird Bayer nichts nutzen, den Bereich Corporate Social Responsibility weiter auszubauen, ihn am Ende gar mit ‚Fachleuten‘ aus den Reihen der Monsanto-Hasser anzureichern. Hier helfen keine runden Tische, keine paritätisch besetzten Arbeitsgruppen, kein Bitten und kein Flehen. Wie einst Bonifatius muss nun Bayer-Chef Baumann handfeste Ergebnisse liefern, um die Überlegenheit der eigenen Position zu demonstrieren und den Glauben der Gegenseite als Götzendienst zu entlarven.

Kein Pardon

Science for a Better Life – das Motto von Bayer bildet den perfekten Gegensatz zum Zurück zur Natur der Rousseau-Erben. Bayer kann sich an die Spitze einer neuen Bewegung stellen, die an ein besseres Leben durch Forschung glaubt, die es dem Menschen zutraut, sein Schicksal selbstständig zu verbessern. Bayer kann diesen Kampf gewinnen, aber er muss begonnen werden, solange man ihn noch gewinnen kann. Einen Grund zum Zögern gibt es nicht mehr. Der Fehdehandschuh ist geworfen, die Waffen sind gewählt. Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht.

Hasso Mansfeld arbeitet als selbstständiger Unternehmensberater und Kommunikationsexperte in Bingen am Rhein. Co-Autor ist der Theologe Dr. Sebastian Moll. Der Kommentar erschien zuerst in gekürzter Form auf Manager Magazin Online und in dieser Fassung am 30.6.16 bei Die Kolumnisten.)

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