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29.06.2016
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Der (fehlende) Handschlag Gottes

Der (fehlende) Handschlag Gottes
An einer Berliner Schule eskalierte gerade der Streit zwischen den Eltern eines Schülers und seiner Lehrerin. Dabei gab es nicht einmal inhaltliche Auseinandersetzungen, denn bis zu denen kam es beim Treffen gar nicht erst. Genaugenommen kam es nicht mal wirklich zum Treffen, denn nach dem Versuch einer Begrüßung war schon Schluss. Die Lehrerin reichte dem Vater des Schülers die Hand, die dieser – ein Imam – aus religiösen Gründen nicht schütteln wollte. Die Frau bestand aber aus Gründen des Respekts und der Gleichberechtigung auf diese Begrüßung. Der Imam verweigerte sie weiterhin. Und so gingen beide Seiten wieder ungeschüttelt ihrer Wege. Die Lehrerin wirft dem Vater nun Frauenfeindlichkeit vor und der Vater der Lehrerin umgekehrt „Verletzung der Religionswürde“ und fremdenfeindliche Diskriminierung. Einmal von den Details dieses Falles abgesehen (was ist zum Beispiel Religionswürde?), zeigt er doch ziemlich gut, wie schwer sich Religionen in ihrer orthodoxen Auslegung damit tun, die Errungenschaften der Aufklärung zu akzeptieren.

Dass ein strenggläubiger Moslem einer fremden Frau die Hand nicht reichen will, geht auf den Propheten Mohammed zurück, der diesen Brauch einführte. Mohammed lebte allerdings vor 1400 Jahren. Damals gab es so ziemlich nichts von dem, was unsere Welt heute prägt. Was kein Problem wäre, wenn sein Leben nicht als goldenes Vorbild dafür dienen würde, wie ein gläubiger Moslem sich zu verhalten hat. Speziell dafür gibt es neben dem Koran noch die Hadithen, eine Sammlung von Anweisungen, wie man sich in welcher Lebenssituation zu verhalten hat – vom Beruhigen eines Kinders bis hin zur Behandlung von Gefangenen. Im Grunde sind sie ein Knigge für Gottesfürchtige.

Nun hat der Erfolg dem Islam einerseits recht gegeben, immerhin schaffte er es auf Platz zwei der größten Religionen der Welt. Und dennoch kann niemand behaupten, dass diese Religion aktuell in ihrer Blüte steht. Im Gegenteil, islamische Länder belegen die letzten Plätze in Sachen Bildung, Frauenrechte und Minderheitenschutz. Millionen Moslems immigrieren oder flüchten (in Merkeldeutschland Synonyme für ein- und dasselbe) aus muslimischen Staaten in den Westen und folgen damit den ethnischen und religiösen Minderheiten, für die es schon zuvor keine Zukunft mehr in diesen Ländern gab. Auch der Imam aus Berlin war übrigens Opfer dieser Intoleranz, da er als türkischer Schiit einer muslimischen Richtung angehört, die in der sunnitischen Türkei heftigen Repressalien ausgesetzt ist. (Dass er selbst wenig von liberalen Werten hält, darf nicht nur wegen dem verweigerten Handschlag angenommen werden, schließlich fand seine theologische Ausbildung im Iran statt, wo mit Verweis auf den Koran Homosexuelle hingerichtet werden.)

Ein Problem, das in vielen Religionen vorkommt, und im Moment vor allem beim orthodoxen Islam auffällt, ist eine reaktionäre Einstellung. Wären solche Religionen Menschen, so wären sie die sturen Großeltern, die sich trotzig “Das haben wir schon immer so gemacht” auf das welke Fleisch tätowiert haben. Eine Haltung übrigens, die so gar nicht in unsere Zeit passt. Innovative Unternehmen verbessern und erleichtern uns den Alltag mit immer neuen Produkten und investieren alles in den Versuch, ihre Produkte immer perfekter zu machen und Fehler zu korrigieren. Der Anspruch dabei ist es, das eigene Produkt immer noch besser zu machen. Deswegen haben zum Beispiel heutige Computer kaum noch etwas mit dem C64 gemein.

Es würde den Religionen gut tun, sich etwas von dieser Startup-Mentalität unserer Zeit abzuschauen und das eigene Produkt intensiver zu überprüfen. Womöglich finden sich ja Elemente, die nicht mehr zeitgemäß sind. Eine Religion sollte ja nicht wie ein Kartenhaus zusammenfallen, wenn an dieser oder jener Stelle dann doch eine Anpassung an völlig andere Zeiten vorgenommen wird.

Und wenn nicht, können die Gläubigen ja immer noch selbst entscheiden, was für Regeln sie befolgen wollen und welche sie nicht mehr passend finden. Das gehört bei den Christen in Deutschland längst dazu. Und bei vielen Moslems auch. Auch wenn ihnen das sowohl orthodoxe Imame als auch Islamgegner nicht durchgehen lassen wollen.

Gideon Böss ist Journalist und Autor des Buches “Deutschland, deine Götter”. Dieser Artikel ist zuerst am 23. Juni 2016 auf seinem "Die Welt"-Blog "Böss in Berlin" erschienen.

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