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21.06.2016
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"Die Mannschaft" als politische Vorzeigetruppe

"Die Mannschaft" als politische Vorzeigetruppe
Spätestens seit 2006 vermarktet die DFB-Auswahl sich als zeitgeistiges Hochglanzprodukt. Die Spieler, so soll deutlich werden, sind nicht nur ein Haufen hochbezahlter Entertainer, sondern die Repräsentanten eines besseren Deutschland. Von Alexander Grau.

„Der Mensch spielt nur“, schrieb einst der gute Schiller, „wo er in voller Bedeutung Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch wo er spielt“. Das war eingängig formuliert und überaus human gedacht, weil es das Menschensein befreit von Sachzwängen, Nützlichkeitserwägungen und puritanischer Lustfeindlichkeit. Gerade das scheinbar Sinnlose ist sinnvoll und menschlich, eben weil es sinnlos ist.

Klingt prima. Hat aber (mindestens) einen Haken: Eben weil Spiel und Sport sinnfrei sind, lässt sich ihnen umso leichter ein Sinn überstülpen. Deshalb sind sie so leicht ideologisierbar. Die Fußball-EM demonstriert das mal wieder auf das Peinlichste – der Deutschen Fußballbund vornweg.

Tattoos statt Schnauzer

Spätestens seit dem „Sommermärchen“ 2006 präsentiert sich die DFB-Auswahl als zeitgeistschnittiges Hochglanzprodukt. Und das bedeutet nicht nur, dass der Designeranzug die Ballonseide abgelöst hat und Tattoos den feschen Schnauzer. Der sterilen Außendarstellung der Mannschaft entspricht der antiseptische Überbau, den man ihr verpasst hat: Man ist weltoffen, multikulturell und tolerant, man engagiert sich gegen Drogen, gegen Rassismus und gegen Diskriminierungen aller Art. Gegen Gewalt ist man ohnehin. Die DFB-Kicker, so soll deutlich werden, sind nicht nur ein Haufen hoch bezahlter Entertainer, sondern die Repräsentanten des modernen, des besseren Deutschland.

Kein Wunder, dass sich die Kanzlerin höchstselbst zum obersten Fan der politischen Vorzeigetruppe gemacht hat. Die DFB-Elf, so darf man vermuten, ist das schwarzweiße Symbol für das Traumland, in das Merkel Deutschland so gerne verwandeln würde. Und so wird sie sich, sollte Löws Truppe das Halbfinale oder gar mehr erreichen, sicher wieder im Kreise ihrer Schützlinge ablichten lassen, auf dass auch der letzte Wähler kapiert: Seht her, so erfolgreich wird das bunte Deutschland sein. Dass an diesen Bildern dann so ziemlich alles schief, falsch und verlogen ist, scheint dabei niemanden zu interessieren. Hauptsache das Marketing stimmt.

„Die Mannschaft“ als Marke

Denn die DFB-Auswahl ist ein wunderbares Instrument politischer PR. Und nicht nur das. Auch zur gesellschaftskonformen Erziehung eignet sie sich hervorragend. Entlarvend schon der neue Markenname, unter dem Deutschlands Kicker seit letztem Sommer auftreten: „Die Mannschaft“. Damit soll nicht nur der „Markenkern“ stärker herausgearbeitet werden, um so bisherige Vermarktungsdefizite auszugleichen, wie das dann im Oliver-Bierhoff-Deutsch heißt. Ganz nebenbei fällt auch der schrecklich gestrige und so gar nicht smarte Begriff der „Nation“ weg, unter dem die Nationalmannschaft einst auftrat.

Vor allem aber macht das Label „die Mannschaft“ deutlich, worum es hier eigentlich geht: um die Propagierung von Teamgeist, um Unterordnung, um das Kollektiv. Den Ethos, den die „Mannschaft“ und die für sie Verantwortlichen verbreiten, ist ein Lehrstück in jener repressiven Lockerheit, die man aus der modernen Unternehmensführung nur zu gut kennt: flache Hierarchien, Team-Ideologie, informeller Habitus, Flexibilisierung.

Gefragt ist der angepasste Karrierist

Natürlich sind alle wahnsinnig entspannt, lustig und unkonventionell. Wer aber aus der Reihe tanzt, wird gnadenlos aussortiert, wie schon einige Profis erfahren mussten. Gefragt ist der mannschaftsdienliche Streber, der angepasste Karrierist, der nach außen stets unverbindlich freundlich ist, niemals das Betriebsklima stört und es versteht, sein Ego zurückzunehmen. Denn merke: Jeder ist ersetzbar. Du bist nichts, die „Mannschaft“ ist alles.

So macht sich die DFB-Auswahl in ihrer Selbstdarstellung zu einem Idealbild gesellschaftsdienlicher und marktkonformer Wohlangepasstheit. Ein Kunstprodukt, clean und weltanschaulich auf der Höhe der Zeit, ohne Ecken und Kanten, politisch überkorrekt und werbefilmtauglich.

Die Instrumentalisierung der Nationalmannschaft

Sport wurde von den Mächtigen und Einflussreichen schon immer ideologisch aufgeladen, das war in der Antike so, das ist in der Moderne nicht anders. Was die Instrumentalisierung der Nationalmannschaft in Sinne eines politisch genehmen und wirtschaftlich erwünschten Zeitgeistes so unangenehm macht, ist die Penetranz, mit der ein semipolitischer Verband den Lieblingssport der Deutschen benutzt, um wohlfeile Botschaften unter das Volk zu streuen. Das ist nicht nur oberlehrerhaft, sondern missbraucht auch die Idee des Spiels.

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Im Dezember 2014 erschien der von ihm herausgegebene Band „Religion. Facetten eines umstrittenen Begriffs“ bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig. Dieser Artikel erschien am 18. Juni 2016 in seiner Kolumne "Grauzone" bei Cicero Online.

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