10.04.2016
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„Panama Papers“: Hirn aus, Empörung an

„Panama Papers“: Hirn aus, Empörung an
Kaum wurden die „Panama Papers“ veröffentlicht, wurden sie instrumentalisiert. Ideologen fühlen sich in ihrer Weltanschauung bestätigt. Bei der Empörung geht es eigentlich um etwas ganz Anderes, sagt Alexander Grau.

Ideologien sind bequem. Sie unterteilen die Welt in gut und böse, in gerecht und ungerecht, in oben und unten. Das erspart das Denken und bestätigt einen darin, den Überblick zu behalten in einer komplexen Welt. Vor allem aber geben Ideologien das gute Gefühl, es schon immer gewusst zu haben und moralisch auf der richtigen Seite zu stehen. Deshalb sind wir für sie so anfällig.

Wie mächtig Ideologien sind, kann man in diesen Tagen studieren: bei der Diskussion um die so genannten „Panama Papers“. Allein schon der Name: „Panama Papers“. Da gruselt es den Rechtschaffenen gewaltig. Das klingt geradezu nach dunklen Geschäften, nach unlauteren Machenschaften und schmierigen Betrügereien. Überhaupt: Liegt Panama nicht in Mittelamerika? Vor dem geistigen Auge des durchschnittlichen Nordeuropäers entsteht da umgehend ein düsteres Bild von Korruption und halbseidenen Mafiosi.

Und dann auch noch Begriffe wie „Briefkastenunternehmen“ und „Offshore-Firmen“. Da weiß der normale Giro-Konten-Besitzer, was er davon zu halten hat. Klingt alles ziemlich kriminell.

Kaum Handfestes unter den Enthüllungen
 
Ist es ja auch. Zumindest möglicherweise. Denn an Briefkastenunternehmen und Offshore-Firmen ist erst einmal nichts illegal. Manchmal sind sie auch für redliche Investoren überaus sinnvoll. Aber genau hier liegt der Punkt.

Denn was bisher ans Tageslicht kam, mag einen überaus schlechten Beigeschmack haben, wirklich Handfestes war aber bislang kaum darunter. Selbst die Machenschaften des ersten Opfers von Panama-Leaks, Islands Ministerpräsident Sigmundur Davið Gunnlaugsson, fallen eher unter die Kategorie Doppelmoral als unter die des Rechts – Gunnlaugssons politische Karriere begann mit dem Kampf gegen die Verfilzung von Politik und Finanzwirtschaft.

Gleichwohl, allein die Liste der Namen und Institutionen, die in Umlauf gebracht wurden, bestätigt auf das Wunderbarste Vorurteile: Man nehme nur den ukrainischen Präsidenten Poroschenko, Saudi-Arabiens König Salman, Putinfreund Roldugin oder Fifa-Präsident Infantino – da weiß man doch, woran man ist. Dass auch der in kapitalismuskritischen Kreisen so beliebte Regisseur Pedro Almódovar Gelder via Jungferninseln anlegte, wird dabei umgehend ausgeblendet.

Stimmiger ist da schon, dass auch die Deutsche Bank im Reigen der Beschuldigten nicht fehlt. Dann tobt das antikapitalistische Volksempfinden und die Ressentiments gegen „die da oben“ haben freie Bahn. Hirn aus, Empörung an.

Es geht um die Festigung des eigenen Weltbildes
 
Auf der anderen Seite der Wutskala steht die Fraktion der abgebrühten Welterklärer. Tenor hier: Alles halb so schlimm, haben wir doch schon immer gewusst. Ist wirklich jemand davon ausgegangen, dass im Umfeld von Putin, der chinesischen Nomenklatur oder Syriens Präsident Assad alles streng nach deutscher Steuergesetzgebung läuft?

Nein, natürlich nicht. Hinzu kommt, dass nach momentanem Stand der Dinge mehr als unklar ist, ob es sich hier überwiegend nur um unfeine oder um strafbare Sachverhalte handelt.

Aber: Um die windigen von den illegalen Geschäftspraktiken zu trennen, müssen sie erst einmal ans Licht gebracht werden. Das vergessen die Leaks-Kritiker allzu schnell. Ebenso wie die Tatsache, dass Vermutungen und gefühlte Gewissheiten keine Beweise sind. Die müssen erst erbracht werden. Dabei kann Panama-Leaks helfen. Und ganz nebenbei bemerkt: Nicht alles, was nicht verboten ist, ist auch schon erlaubt. Sonst hießen solche Praktiken nicht „Schlupflöcher“. Doch darüber schauen all jene gerne hinweg, die sich über die naiven Leaks-Empörer lustig machen.

Denn in der öffentlichen Debatte um die Panama-Papers geht es meist nicht um die Sache, sondern um die Festigung des eigenen Weltbildes, Diskreditierung des ideologischen Gegners inklusive. Sahra Wagenknechts peinlicher – und nebenbei sachlich falscher – „Lügenpresse!“-Post auf Facebook ist nur das extremste Beispiel dafür, wie Panama-Leaks weltanschaulich instrumentalisiert wird – von Globalisierungskritikern und Wirtschaftsliberalen, Antikapitalisten und Marktgläubigen gleichermaßen: Stahlhelm auf und ab in die Schützengräben, scheint das Motto der Stunde zu sein.

Das ist nicht nur unendlich langweilig. Vor allem wird es der Sache nicht gerecht. Denn weder beweisen die Panama Papers die Verworfenheit des Kapitalismus – eher schon die Korruptionsanfälligkeit einer engen Verbindung von Staat und Wirtschaft – noch wird man einfach zur Tagesordnung übergehen können. Genau das bewirkt aber die kurzfristige Erregungsorgie. Und die Nutznießer sind die Kriminellen.

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Im Dezember 2014 erschien der von ihm herausgegebene Band „Religion. Facetten eines umstrittenen Begriffs“ bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig. Dieser Artikel erschien am 9. April 2016 in seiner Kolumne "Grauzone" bei Cicero Online.