Donnerstag, 28. März 2024

19.07.2015
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GIDEON BOESS | Gebt uns ein Mitspracherecht bei unserem Namen

GIDEON BOESS | Gebt uns ein Mitspracherecht bei unserem Name...
Die Namenswahl ist eine intime Entscheidung für werdende Eltern. Und dennoch liegen sie manchmal daneben. Doch in Deutschland ist es sehr schwer, daran nachträglich noch etwas zu ändern. Warum? Das Baby Sturmhart hat es in seinem jungen Leben schon zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Praktisch aus dem Kreißsaal heraus eroberte es Mitte Juni das Internet. Auf Twitter und Facebook verbreitete sich die Nachricht rasend schnell, dass in Dresden ein Sturmhart Siegbald Torsten geboren wurde.

Damit hatte er auch gleich seinen ersten Spitznamen weg: SS-Torsten. Es ist gut möglich, dass dieser ihn noch lange Zeit verfolgen wird. Vielleicht sogar ein Leben lang. Genauso gut möglich ist, dass seine Eltern sich bewusst für diese SS-Assoziation entschieden. Damit haben sie ihrem Sturmhart keinen Gefallen getan. Wenn er nicht zufällig Karriere in der NPD machen will, gibt es wenige Orte, an denen ein so gefärbter Name kein Nachteil sein wird.

Auch in anderen Milieus kommt es vor, dass ideologische Verstumpftheit die Liebe zum eigenen Kind schlägt. Deswegen erblicken auch Kinder das Licht der Welt, die den Namen Jihad tragen. Natürlich gilt dabei die erste Assoziation finsteren Männern, die vor laufender Kamera Menschen die Kehle durchschneiden. Mit so einem Namen wird es nicht einmal etwas bei der NPD.

Das Monopol der Eltern

Eltern können ihren Kindern erstaunlich effektiv schaden, indem sie ihnen Namen geben, die sie sofort stigmatisieren. Wer sich für eine Namensvariante entscheidet, die nur so vor Nazianspielungen strotzt, verwechselt das beginnende Leben des eigenen Nachwuchs mit einer Litfaßsäule für die eigene intellektuelle Beschränktheit. "Was es für Leute gibt", wird dann vom Zeitungsleser gesagt, wenn er von so einem Namen erfährt. Oder, "das arme Kind". Aber mehr passiert für gewöhnlich nicht. Was soll man auch machen? Dabei gäbe es eine effektive Möglichkeit, das Monopol von Eltern zu brechen, auf diese perfide Weise ihr Weltbild auf die nächste Generation zu übertragen: die Option, seinen Namen einfach ändern zu können, den Vornamen ebenso wie den Nachnamen.

Mit den Freiheiten in einer liberalen Demokratie ist schließlich das Versprechen verknüpft, nicht die Geisel der eigenen Herkunftsfamilie zu sein, sondern sich aus dieser lösen zu können. Das geht erheblich leichter, wenn die Möglichkeit besteht, sich auch im Personalausweis neu zu definieren.

Die Hauptperson hat kein Mitspracherecht

Die Namenswahl ist eine intime und emotionale Entscheidung für werdende Eltern. Oft wird dabei an verstorbene Vorfahren erinnert, manchmal aber auch nur an Roman- oder Filmfiguren, die Vater oder Mutter besonders beeindruckt haben. Außerdem gibt es jene, die sich für Namen entscheiden, die sie einfach schön finden oder aus der Liste der beliebtesten Vornamen übernehmen, damit ihr Kind später nicht wegen eines exotischen Namens ausgegrenzt wird. Was alle diese Überlegungen aber verbindet, ist, dass die Hauptperson keine Mitsprache besitzt. Andere Menschen entscheiden für das Kind endgültig, wie es heißen soll. In Deutschland ist es sehr schwer, daran nachträglich noch etwas zu ändern, wenn man nicht zufällig Adolf heißt.

So eine Festlegung ist längst nicht mehr zeitgemäß. Es überrascht, warum diese Forderung nicht lautstark erhoben wird, während gleichzeitig ein großes Verständnis dafür besteht, wenn jemand sein Geschlecht wechseln will oder nicht als Mann oder Frau angesprochen werden möchte, weil beide Kategorien als Einschränkung der eigenen Persönlichkeit empfunden werden.

Deutsche Behörden haben strikte Auflagen

Naheliegender als Forderung nach solchen Freiheiten (die es auch geben muss) wäre es, sich um die Beseitigung von Hürden zu kümmern, die eine wesentlich größere Gruppe von Menschen betrifft. Zumal es viele Gründe geben kann, warum jemand seinen Namen ändern möchte. Nicht zuletzt den, dadurch die Gesinnung von Mama und Papa abzuschütteln, die sie einem in ideologischer Einfalt durch den Namen in den Lebenslauf eingebrannt haben. Oder es gibt Gründe, die niemand außer dem Wechselwilligen versteht. Eltern können ihren Kindern den Weg zu einem möglichst schönen Leben ebnen, sie können ihnen diesen Weg aber auch unnötig schwer machen. Kein Grund also, ihnen in Sachen Namen das letzte Wort zu lassen.

Deutsche Behörden sind sehr zurückhaltend, was das Erlauben von Änderungen angeht. Dafür muss es "wichtige Gründe" geben, wie es diffus heißt. Ob ein Grund wichtig ist, entscheidet schließlich ein Beamter, der weder davor noch danach mit dem entsprechenden Namen leben muss.

Der Name ist wie eine Visitenkarte

Wenn eine Änderung aufgrund der äußeren Form erbeten wird, steigen die Chancen, dass sie bewilligt wird. Deswegen wird eine Korrektur von überlangen Namen oder orthografischen Korrekturen meistens erlaubt. Ebenso die Anpassung der Nachnamen von Pflegekind und Pflegeeltern. In solchen Fällen geht es darum, für mehr Klarheit zu sorgen, womit sie im Interesse des deutschen Staates liegen, der Wert auf Ordnung und Sauberkeit legt.

Ignorant ist er hingegen, wenn die Änderung emotional und individuell begründet wird. Eine Behörde ist eben eine Behörde und hat nichts übrig für Einzelgängertum und Individualismus. Dass es auch anders gehen kann, sieht man zum Beispiel in England, wo sich jeder seinen Namen selbst geben kann, und das, so oft er will. Es gibt dort auch keine dem Standesamt vergleichbare Einrichtung, die Namen registriert und bestätigt.

Der eigene Name ist mit das Persönlichste, was mit der Öffentlichkeit geteilt wird. Mit ihm stellt man sich vor. Er ist wie eine Visitenkarte, von deren Herstellung man ausgeschlossen wurde. Man kann Glück haben, und es handelt sich um eine schöne Variante, auf der vor friedlich-bläulichem Hintergrund in Schönschrift Sophia steht. Sie kann aber auch ein Eselsohr haben, von Bierflecken aufgeweicht sein und in krakeliger Schrift das Wort Sturmhart enthalten. Jeder sollte die Möglichkeit haben, sich selbst Visitenkarten herzustellen.

Das Innere bleibt doch immer gleich

Neben Gründen, die persönlicher oder familiärer Natur sind, kann es aber noch diverse andere geben, warum jemand sich für einen Namenswechsel entscheidet. Vielleicht möchte eine Fatima einfach lieber Lena heißen, ein Thao David und ein Michael Kofi. Dass es heute leichter ist, sein Geschlecht ändern zu lassen als seinen Namen, ist eine seltsame Situation. Beides sollte das Individuum selbst entscheiden können. Es gibt jedes Jahr Zehntausende Schönheitsoperationen, bei denen Menschen sich vermeintliche oder tatsächliche körperliche Makel korrigieren lassen. Bewusste Ernährung wird immer beliebter, fernöstliche Meditationsübungen sind populärer denn je. Bei all dem geht es darum, einen besseren Zugang zu sich selbst zu entwickeln. Warum sollte ausgerechnet der eigene Name nicht verhandelbar sein?

Er wurde einem womöglich von Menschen gegeben, denen man keinen Gebrauchtwagen abkaufen würde. Aber eine Entscheidung, die erheblichen Einfluss auf den Lebensweg eines Menschen hat, soll ihnen praktisch ohne Vetorecht überlassen bleiben? Es wird Zeit, dass jeder Einzelne selbst entscheiden kann, wie er heißen will und wie lange er so heißen will. Warum auch nicht? Schließlich heißt es doch: Es kommt auf die inneren Werte an. Und an denen ändert sich dadurch ja nichts.

Der Beitrag von Gideon Boess erschien zuerst in der Welt, hier.

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