Mittwoch, 17. April 2024

Oblomow und der Geist des Bürgertums

Oblomow und der Geist des Bürgertums
Vor der saudi-arabischen Botschaft in Berlin eine Demonstration für den Blogger Raif Badawi, dem Opfer des saudischen Rechtsterrorismus: Das Urteil für seinen Mut zur Meinungsäußerung lautete auf 1000 Peitschenhiebe, € 200.000 Geldbuße, 10 Jahre Haft, danach 10 Jahre Ausreiseverbot, wodurch er auch nach Haftverbüßung seine in Kanada lebende Frau und Kinder nicht besuchen kann. Aufgerufen über mehrere Tage hatte Amnesty International, gekommen waren ungefähr 80 bis 100 Leute, davon dreißig Aktivisten des Veranstalters. Zugegen war auch die Frau des Verurteilten, eine kleine, energetische, beherrschte Person, deren Stimme allein verriet, was sie seit Monaten durchmacht.

Auffällig war, wer alles fehlte: Zunächst Justizminister Heiko Maas, der nach islamischen Anschlägen auf Karikaturisten zwar gern Moscheen besucht, für die Verteidigung der Meinungsfreiheit aber nicht mal einen seiner Staatssekretäre schicken kann; dann auch alle Politiker von GRÜNEN, Linke, SPD, also all die Großsprecher, die sonst bei jeder Gelegenheit Engagement und Toleranz einfordern. Natürlich abwesend waren auch die Vertreter der Muslim-Verbände, denen westliche Werte wie Religions- und Meinungsfreiheit immer nur dann wichtig sind, wenn sie sich davon einen Vorteil versprechen. Nicht gekommen waren auch alle sonstigen Protagonisten der freiheitlichen Verlogenheit: Die Theaterintendanten, Schauspieler, Übersetzer, Schriftsteller, Künstler, Galeristen, Musiker, also all jene, die immer behaupten, wie wichtig die Freiheit für ihr berufliches Schaffen sei. Und so fehlten auch die Verleger und Journalisten, die zwar beständig „Je suis Charlie“ für sich in Anspruch nehmen, aber eben nicht Raif Badawi sind.

Keiner der großen und kleinen Verlage, kein Parlamentsbüro der auswärtigen Zeitungen und Nachrichtenmagazine ist mehr als 1500 m von der saudischen Botschaft entfernt, aber für viele Journalisten ist eine solche Wegstrecke offensichtlich schon gedanklich nicht zu bewältigen. Während jede Eröffnung eines Apple-Stores, einer belanglosen Ausstellung in einer umgebauten Kirche und einer Veranstaltung der Fashion Week leichthin 1000 oder mehr Menschen versammelt, während jedes größere Sportereignis oder der European Song Contest mit großen Reporterteams besetzt wird, ist in einem Fall eklatanter Menschenrechtsverletzung schon der allerkleinste Aufwand zu viel.

Nicht gekommen waren auch die, die gemeinhin zum Bürgertum rechnen: Anwälte, Banker, Unternehmensberater, Architekten, also salopp formuliert die Fraktion der Berufsanzugträger. ‚Bürgerlich’ sind solche Leute nur in Attitüde und Lebenswandel, in ihrer Vorliebe für Hausmusik, Sylt, englisches Schuhwerk und gesicherten Lebensstandard; doch jedes civische Bewußtsein, dass also der Staat und die Verteidigung des Rechts auch des eigenen Einsatzes bedarf, scheint zu fehlen. Im Grunde die oligarchische Haltung, die in Rußland und anderen Despotien herrscht: Lasst uns in Ruhe wirtschaften, dann kümmern wir uns nicht um Politik. Auch sie, wie die Vertreter der künstlerischen Berufe, Verfassungs-Oblomows: Faul, träge, desinteressiert. Viel Anspruch hier, viel Geld dort, aber im Kern immer von ganz kleinem Zuschnitt.

Begriff ohne Realität: Links-liberal. Im Zweifel ist Linken Gerechtigkeit – was immer sie dafür halten – wichtiger als Freiheit.


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