30.08.2016
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Die Meinungsfreiheit und mein Mann

Die Meinungsfreiheit und mein Mann
Von Monika Bittl.

Meist wird Voltaire als Urheber dieses Zitates genannt. Dabei stammt es von der Schriftstellerin Evelyn Beatrice Hall (1868 – 1956), die dem Aufklärer diesen Satz in den Mund legte. Aphorismen, auf den Punkt gebrachte Erkenntnisse und denkwürdige Sätze von Frauen über die Freiheit sind rar gesät. Deshalb freute es mich umso mehr, als ich von der Urheberschaft des Satzes erfuhr.  

Doch warum sollte ich „bis auf den Tod“ eine andere Meinung verteidigen? Wenn mein Mann behauptet, er würde im Haushalt ebenso viel wie ich machen, könnte ich ihn für diese Ansicht umbringen! Wie gerne möchte ich ihm den Mund verbieten! Am Ende glauben die Kinder auch noch ihm!

Doch was wäre, wenn ich ihn zum Schweigen brächte? Die Kinder bekämen keinen Schlagabtausch von Argumenten zu hören und könnten nur eine „richtige“ Meinung hören. Wir würden ihnen dabei nicht erlauben, aus den verschiedenen Statements eigene Schlüsse zu ziehen. Wir würden ihnen nicht vertrauen, schon klug genug zu sein, eigene Positionen zu finden, und sie damit nicht zu Citoyens erziehen. Denn noch viel mehr als im privaten Kreis brauchen wir in der Politik und in der Gesellschaft die noch so scheinbar abwegigen Ansichten der anderen – nicht nur, um den Gegner argumentativ zu überzeugen, sondern vor allem auch, um im Wettbewerb der Ideen auch Dritte zu eigenen, neuen Ansichten zu ermuntern.

Zu den Kerngedanken der Aufklärung gehört, dass sich jeder seine eigene Meinung nicht nur bilden darf, sondern sogar sollte. Denker wie Voltaire sahen den Menschen nicht dumm, schwach und verführbar – nein, sie vertrauten ihm und der Meinungsvielfalt, um eine demokratische Kraft zu erzeugen, die robust gegenüber totalitären Tendenzen ist – Tendenzen, die bisweilen in Diktaturen mündeten und dann tatsächlich Tote forderten. Deshalb ist es nicht übertrieben, wenn Hall von „bis zum Tod“ spricht, denn immer wenn die Meinungsfreiheit erschlagen wurde, starben mit ihr auch Menschen. Die Postmoderne vergisst zu oft, dass wir Citoyens und keine Untertanen brauchen.

Sie sehen das anders? Dann mal nur heraus mit der Sprache! Es sei denn, Sie sind mein Mann, den ich privat ... aber das ist ein anderes Kapitel.

Die preisgekrönte Münchner Drehbuchautorin und Schriftstellerin Monika Bittl ist stellvertretende Vorsitzende von BFT. eV. Sie steht seit drei Monaten auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste mit ihrem narrativen Sachbuch „Ich hatte mich jünger in Erinnerung“. Monika Bittl streitet gerne für die Ideale der Aufklärung – und mit ihrem Mann. Dieser Beitrag erschien zuerst in “liberal - Debatten zur Freiheit", dem Magazin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (5/2016).